Im Schatten des Schloessli
D-d-daran kommt kein Kantischüler vorbei.»
«Und? Was denken Sie? Ist jedes Mittel erlaubt, um ein erlittenes Unrecht wiedergutzumachen?»
« Porca miseria , genau das haben wir uns nach ‹Dr Gaunerkönig Bärnhard Matter› auch gefragt.»
«Meine Meinung dazu kennt ihr», polterte Hans-Jakob Käser.
«Und ob wir die kennen! Dabei dachte ich, du hättest dir in Australien deine rebellischen Hörner abgestossen.»
«Meine Güte, Kurt, weisst du, wie lange das her ist?»
«Fünfundzwanzig Jahre? Dreissig?»
«Vierunddreissig Jahre.» Wehmut sprach aus Hans-Jakob Käsers Stimme.
«Australien?» Unold sah Käser an. «Was haben Sie dort denn gemacht?»
«Gerungen», rief Flora hinter der Theke hervor. «Ich kann’s selbst kaum glauben, aber unser Köbi war mal Wrestler.»
«Das war doch nur ein Hobby. Hauptsächlich hab ich Landmaschinen repariert. Beides kein Verbrechen», fügte er hinzu, als er Unolds Blick bemerkte.
«Natürlich nicht.» Unold schien nachzudenken. «Ich kenne sie nicht.»
«Wie?»
«Ihre Meinung bezüglich Unrecht. Ich kenne sie nicht.»
«Das lässt sich ändern. Ist ja kein Geheimnis. Wie lautete die Frage nochmals genau?»
«Ist jedes Mittel erlaubt, um ein erlittenes Unrecht zu sühnen?»
Hans-Jakob Käser überlegte kurz. «Jedes Mittel sicher nicht. Aber man darf sich auch nicht alles gefallen lassen. Schauen Sie sich doch mal um. Was interessiert die Polizei oder das Gesetz das Schicksal des Einzelnen? Solange der Staat an uns verdient, ist alles gut. Doch wehe, wir werden alt und krank und sind auf Hilfe angewiesen.» Er atmete heftig.
«Jetzt beruhige dich wieder.» Flora war mit dem frisch gepressten Fruchtsaft zu den Männern zurückgekehrt und stellte die vollen Gläser auf das Bistrotischchen.
«Mich beruhigen und tatenlos zusehen, wie die Menschen der Geldgier oder den Paragraphen geopfert werden? Du bist gut! Wirtschaft und Staat beuten uns skrupellos aus – und sind wir erst ausgewrungen bis zum letzten Tropfen, lässt man uns fallen. Wäre nicht noch ein letztes bisschen Skrupel vorhanden, würde man uns Alte zu diesem Green-Dings verarbeiten, zu diesen Kräckern, wie im Film mit Charlton Heston.»
«Sie meinen ‹Soylent Green›», merkte Unold an. «So heisst der Science-Fiction-Film, wo Leichen zu grünen quadratischen Täfelchen verarbeitet werden. Üble Sache, aber glücklicherweise nur ein Film. So schlimm, wie Sie es darstellen, sind die Zustände in der Schweiz jedenfalls noch lange nicht. Dazu ist unser Sozialsystem viel zu fortschrittlich.»
«Das meinen Sie!» Hans-Jakob Käser drehte Floras Getränkekarte um und um.
«Ich kann Köbi nur beipflichten», schaltete sich Kurt Bretscher ein. «Eigentlich mag ich Menschen nicht, die nur wiedergeben, was andere gesagt haben, oder noch schlimmer, was der Freund vom Freund vom Freund erzählt hat. Manchmal aber passt es einfach. Die Moser zum Beispiel, also die Autorin, die hat in der ‹ AZ › mal den amerikanischen Beinahe-Präsidentschaftskandidaten Rick Santorum zitiert. Der habe im Radio behauptet, dass der begleitete Freitod in den Niederlanden oft gar nicht selbst gewählt sei, sondern erzwungen.»
«D-d-das glaubst du doch selbst nicht.»
«Dass Santorum das gesagt hat?»
«N-n-nein, d-d-dass die Holländer Leute zum Selbstmord zwingen.»
«Die Niederländer, Alain, nicht die Holländer», bemerkte Hans-Jakob Käser.
«V-v-von mir aus die Niederländer. I-i-ist doch eh das Gleiche.»
«Erzählen Sie das bloss nicht der Bevölkerung von Saba oder der beiden anderen Karibikinseln, die zu den Niederlanden gehören. Die mögen es nämlich gar nicht, wenn man sie als Holländer bezeichnet.»
«Niederländer oder Holländer, das spielt doch jetzt keine Rolle», sagte Kurt Bretscher aufgebracht. «Die Moser jedenfalls schrieb, der Santorum habe behauptet, in den Niederlanden würden Menschen, die alt und krank seien und der Gesellschaft nichts mehr nützten, entsorgt.»
«Ihr könnt mir sagen, was ihr wollt, aber so absurd ist diese Behauptung nicht», sprang Hans-Jakob Käser seinem Freund bei. «Es würde mich nicht wundern, wenn das in der Schweiz ebenfalls der Fall wäre.»
«Jetzt übertreiben Sie masslos. Erstens ist die Schweiz die Schweiz, und die Niederlande sind die Niederlande. Und zweitens ist es mehr als nur gewagt, zu behaupten, der begleitete Freitod sei erzwungen.»
Hans-Jakob Käser schenkte sich eine Antwort. «Ein Königreich für ein Bier», brummte er stattdessen.
«
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