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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Kahi
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Philosophieprofessor David Nyberg. Ohne ein gewisses Mass an Täuschung gibt es weder gesellschaftliche Stabilität noch soziale Gesundheit. So gesehen ist der Verzicht auf Täuschung nachgerade ungesund und unmoralisch. Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich das nächste Mal vorwarnen.»
    «Ich hätte es Ihnen sagen müssen», gab sich Unold zerknirscht. «Es war mir einfach peinlich.»
    «Was meinen Sie, wie peinlich es erst für mich war.»
    «Ich konnte ja nicht ahnen, dass Saliha noch da ist, wenn Sie in die Wohnung kommen.»
    «Offenbar ist die Frau eine Langschläferin.»
    «Ich muss Ihnen übrigens noch etwas sagen», ging Unold über Floras Bemerkung hinweg.
    «In Wahrheit heissen Sie Bünzli, sind verheiratet und haben fünf Kinder?»
    «Ich habe zwei Theaterkarten für heute Abend.»
    «Theater? Heute? Ist das nicht etwas … pietätlos, so kurz nach Stephans Tod?»
    «Vergessen Sie die Pietät! Der Ausflug wird Sie auf andere Gedanken bringen. Wer sich das Maul zerreissen will, tut das so oder so, ob Sie nun nackt auf dem Bahnhofsplatz tanzen oder sich ins Kloster zurückziehen.»
    «Aber –»
    «In zehn Minuten müssen wir los.»
    «Ich weiss nicht –»
    «Aber ich.»
    «Eigentlich bin ich alt genug, um selbst zu entscheiden, was ich tun will und was nicht.»
    «Und jetzt wollen Sie mit mir ins Theater gehen. Ein wenig Ablenkung hat noch keinem geschadet.»
    «Sie sind ein verdammt harter Brocken.»
    «Und Sie eine zähe Verhandlungspartnerin.»
    «Also gut.»
    «Sie werden es nicht bereuen. Fiat iustitia, et pereat mundus! »
    «Wie?»
    «Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde!»
    «Das Motto der Kantonspolizei?»
    «Das Motto von ‹Michael Kohlhaas›.»
    * * *
    «Einen Vorteil hat es, wenn man mit der Chefin des Hauses im Ausgang ist: Man bekommt jederzeit etwas zu trinken.» Unold sass mit Flora unter den Platanen vor «Floras veganer Welt» und trank das zweite Glas des eisgekühlten Melonen-Karotten-Apfelsaft-Gemischs.
    «Den scheinen Sie lieber zu mögen als meinen Kaffee.»
    «Ich hoffe, Sie sind sozial gesund genug, um die Wahrheit zu ertragen: Ich kann Soja nicht ausstehen.»
    «Aber warum haben Sie den Kaffee nicht mit Kokosmilch bestellt?»
    «Die verabscheue ich noch mehr.»
    « Porca miseria! Gut, hast du offen. Wir haben einen Affendurst. Stimmt doch, oder nicht?» Vincenzo Biondas Bariton hallte durch die Nacht.
    Hans-Jakob Käser, Kurt Bretscher und Alain Schaad brummten etwas, das von «ja» zu «nein» zu «dumme Frage» alles bedeuten konnte.
    Flora sah zu den herannahenden Männern, die sie treuherzig angrinsten. «Ihr schon wieder. Ihr seid wohl immer auf Achse?»
    «Sch-sch-scheinst dich ja nicht gerade zu freuen, u-u-uns zu sehen.»
    «Ich hab euch doch gesagt, wir sollen woanders hingehen. Die zwei möchten bestimmt allein sein.»
    «Der Köbi, unser Frauenversteher.»
    «Ich war nicht umsonst fast dreiundzwanzig Jahre verheiratet, Kurt.»
    «Jetzt setzt euch schon hin.» Flora wies auf das Tischchen neben dem ihren. «Einen Melonen-Karotten-Apfelsaft könnt ihr haben. Oder Wasser. Für alles andere reicht meine Kraft nicht mehr.»
    «M-m-mir ist alles recht. H-h-hauptsache, es ist flüssig und kalt.»
    «Sie schulden mir noch eine Antwort», rief Unold Flora hinterher, als sie aufstand und hinter die Theke ging, um den Männern ihren Saft zuzubereiten.
    «Sie haben der Flora aber nicht etwa einen Heiratsantrag gemacht?»
    «Einen Hei…? Um Himmels willen, nein! Nicht, dass das so abwegig wäre, aber nein. So gut kenne ich Frau Winkelried nun auch wieder nicht.»
    «Also Kurt, was du auch wieder denkst. Die beiden sind ja noch nicht einmal beim Du, weisch.»
    «Das wiederum spräche nicht unbedingt gegen einen Antrag. Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre siezten sich zeitlebens und waren dennoch ein Paar.» Unold nahm den Melonenschnitz, mit dem Flora sein Saftglas garniert hatte, in beide Hände und biss in das dunkelrote Fruchtfleisch. «Gerechtigkeit», sagte er, als er fertig gekaut und hinuntergeschluckt hatte, «Gerechtigkeit und die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, das ist, was noch im Raum steht.»
    «I-i-interessantes Thema. W-w-wie kommen Sie denn darauf?»
    «Heinrich von Kleist. ‹Michael Kohlhaas›», gab Unold zur Antwort. «Kennen Sie das Stück?»
    «D-d-der Pferdehändler, d-d-der gegen das Unrecht kämpft, d-d-das ihm von der O-o-obrigkeit angetan worden ist, u-u-und schliesslich zur Selbstjustiz greift?

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