Im Schatten des Teebaums - Roman
stiehlt«, sagte Eliza verzweifelt. »Aber das werde ich schon noch herausfinden!«
»W ie denn, Eliza? Sie können nicht jede Nacht die Schafe sämtlicher Farmer bewachen. Irgendein gerissener Bursche stiehlt die Tiere, und nun brauchen die Farmer jemanden, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben können. Und da komme ich ihnen gerade recht.«
»Aber die Farmer haben keine Beweise gegen Sie!«, sagte Eliza empört. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. »Mir ist da eben eine Idee gekommen, Noah«, rief sie aufgeregt. »W enn weiterhin Schafe verschwinden, solange Sie bei uns sind, ist das der Beweis für Ihre Unschuld! Wenn Tante Tilly und ich bezeugen, dass Sie das Hanging Rocks Inn nicht verlassen haben, könnte Ihr Name reingewaschen werden.«
Noah wünschte sich, es wäre so einfach. Zwar wusste er, dass jeder in der Stadt Respekt vor Tilly hatte, aber es müsste schon ein Wunder geschehen, damit die Leute ihre Meinung über ihn änderten, den Aborigine und Sohn eines Bushrangers. Noah schüttelte den Kopf. »Die Leute würden bloß denken, dass jemand mit mir unter einer Decke steckt«, sagte er mutlos und ließ die Schultern hängen. Er sah aus wie ein geschlagener Mann.
Eliza musste zugeben, dass Noah recht haben konnte. Es würde nicht leicht sein, die Farmer von seiner Unschuld zu überzeugen – nicht nach dem Artikel, den Alistair McBride geschrieben hatte. Sie brauchte handfeste Beweise, dass jemand anders die Schafe stahl.
Plötzlich blieb sie stehen und schnupperte. »W as ist das für ein entsetzlicher Geruch?«, fragte sie.
»Riecht nach einem verwesenden Kadaver«, sagte Noah. »V ielleicht ein totes Känguru.«
»Das ist ja widerlich.« Eliza schauderte, während sie weitergingen. »W ir sollten auf unsere Tiere steigen und sehen, dass wir weiterkommen.«
Eine Böe jagte über den See. Der Geruch, den der Wind mitbrachte, war beinahe erstickend. »Das ist doch sicher mehr als nur ein einziger Kadaver«, sagte Eliza. »Aus welcher Richtung kommt dieser Geruch, Noah?«
Noah brauchte einen Augenblick, um es herauszufinden; dann wies er auf die Ebene östlich des Lake Bonney. »V on dort«, erwiderte er und zeigte auf einen ungefähr fünfzig Meter entfernten Baum, der sich von der Landschaft abhob, da er höher aufragte als alles rings um ihn her. »Irgendwo in der Nähe von dem Sumpfeukalyptus.«
»Lassen Sie uns nachsehen, was da los ist«, sagte Eliza. Als Reporterin war sie von Haus aus neugierig, schauderte jedoch bei dem Gedanken, auf tote Schafe oder andere Tierkadaver zu stoßen.
»Das ist Privatland, Eliza«, sagte Noah nervös. Er hatte auf bittere und schmerzhafte Weise gelernt, dass die Farmer keine Aborigines auf ihrem Land duldeten. Als er in seiner Kindheit mit dem Clan seiner Mutter durchs Land gezogen war, waren sie oft verprügelt oder gar angeschossen worden, wenn die Farmer sie vertrieben hatten. Einmal hatte seine Mutter sich den Arm gebrochen, als sie von einem dicken Ast getroffen wurde, den ein wütender Farmer nach ihr geschleudert hatte. Dabei hatte sie bloß nach wilden Jamswurzeln gesucht. Noah war damals ungefähr sechs gewesen, hatte den Vorfall aber noch immer in lebhafter Erinnerung, weil er danach wochenlang die Arbeit seiner Mutter erledigen musste, während ihr Arm heilte.
Eliza sah sich um. »Es ist niemand da, der uns sehen könnte, Noah. Es dürfte kein Problem sein.«
Noah schien nicht überzeugt. Irgendetwas beunruhigte ihn. »W ir sollten lieber verschwinden«, sagte er.
»Ich denke, wir schauen uns die Sache erst einmal an, Noah.«
Der Aborigine sah, dass Eliza entschlossen war, also lenkte er ein und folgte ihr.
Auf dem Gebiet am östlichen Seeufer standen überwiegend Kanukabäume, die sich meilenweit hinzogen, das Gelände war nicht umzäunt. Eliza bahnte sich einen Weg durch Gestrüpp und hohes Gras, Angus am Zügel führend, und Noah folgte ihr mit seinem Esel. Eliza war fest entschlossen, herauszufinden, woher der scheußliche Geruch kam, sodass sie nicht einmal an die Möglichkeit dachte, ein gefährliches Tier könnte in der Nähe sein.
Mit jedem Schritt wurde der Geruch abscheulicher.
»W ir müssen ganz in der Nähe sein, Noah«, flüsterte Eliza durch ein parfümiertes Taschentuch, das sie sich über Mund und Nase halten musste.
Noah nickte nervös. Eliza nahm an, dass er Angst hatte, sie könnten einem Farmer über den Weg laufen, der davon wusste, dass die Leute aus der Stadt nach ihm, Noah, suchten. Sie erkannte, dass es
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