Im Schatten des Teebaums - Roman
hatte Andeutungen über einen Bären oder einen Wolf gemacht. Ein Bär würde viel mehr Fleisch fressen – damit blieb seines Erachtens nur der Wolf.
Brodie überlegte, wo Eliza und Noah zur dieser nächtlichen Stunde gewesen sein könnten. Bei den Höhlen? Sie waren ganz in der Nähe, und ein Wolf würde in einer Höhle Schutz suchen …
»Füttern Sie einen Wolf?«, fragte Brodie unvermittelt.
Elizas Augen weiteten sich so ungläubig, dass Brodie annahm, entweder etwas Lächerliches unterstellt oder ins Schwarze getroffen zu haben. Er schaute Noah an, der erschüttert zu sein schien. Offensichtlich hatte Brodie ins Schwarze getroffen, doch er wusste, dass Eliza es noch immer nicht zugeben würde – es sei denn, er zwang sie dazu.
»Soll ich selbst zu den Höhlen gehen und nachsehen?«, fragte Brodie.
»Nein«, antwortete Eliza bedrückt.
»Dann ist tatsächlich ein Wolf in den Höhlen …« Brodie konnte es kaum glauben.
»Sie dürfen ihn nicht töten, Brodie! Das werde ich nicht zulassen«, sagte Eliza. Tränen traten ihr in die Augen.
»W oher wissen Sie denn überhaupt, dass es ein Wolf ist? Es könnte ein Hund oder ein großer Dingo sein. Ich habe keine Berichte über einen Wolf gehört.«
»Es ist kein Hund«, sagte Noah. »Ich hab das Tier schon einmal gesehen. Er ist schon seit einer ganzen Weile hier in der Gegend.«
Brodie wusste, dass Noah als Aborigine den Unterschied zwischen einem Hund, einem Dingo und einem Wolf erkennen würde. »W oher ist er denn gekommen?«, fragte er, während er sich zu erinnern versuchte, ob das Tier, auf das er geschossen hatte, ein Wolf gewesen sein könnte.
»Offenbar sind letztes Jahr hier in der Nähe zwei russische Schiffe vor der Küste gesunken«, sagte Eliza. »Er könnte von einem dieser Schiffe gekommen sein, aber er hat die Schafe nicht getötet. Es hat hin und wieder am See Hühner und Enten gerissen, aber die Schafe holt sich jemand anders.«
»Und was ist mit den Schafskadavern, die in Stücke gerissen auf Jock Milligans Land gefunden wurden?«, fragte Brodie, der nicht vorhatte, den Wolf so leicht davonkommen zu lassen.
»Das muss der Tiger gewesen sein«, sagte Eliza. »Sie haben doch Kratzspuren an Bäumen gefunden. Wölfe hinterlassen keine solchen Spuren.«
Brodie musste zugeben, dass sie in diesem Punkt recht hatte. Nur eine Raubkatze hätte die Spuren hinterlassen können, die er gefunden hatte. »W ar der Wolf verwundet?«, fragte er. Er war sich sicher, dass er das Tier, das versucht hatte, ins Hühnergehege einzudringen, nicht verfehlt hatte.
»Ja, Sie haben ihn ins Bein geschossen, aber zum Glück war es nur eine Fleischwunde, und die ist inzwischen verheilt«, sagte Eliza. »V ersprechen Sie mir, dass Sie nicht noch einmal auf ihn schießen!«
»Das kann ich nicht«, sagte Brodie.
Wieder schimmerten Tränen in Elizas Augen. »Ich wusste, dass es keine gute Idee war, Ihnen zu vertrauen.«
»Ich werde es nicht darauf anlegen, den Wolf zu erschießen, aber wenn er einen von uns angreift, muss ich es tun. Er ist ein wildes Tier, Eliza. Wilde Tiere sind unberechenbar.«
»Ich habe ihn in den Höhlen zweimal gefüttert, und beide Male hätte er mich angreifen können, hat es aber nicht getan.«
»Er wird niemals so zahm werden wie ein Haustier. Das ist Ihnen doch klar, oder? Und er ist nicht in Sicherheit, solange er hier durch die Gegend streift.«
Eliza wusste, dass er recht hatte, doch ihre Gefühle waren in einem solchen Aufruhr, dass sie kein vernünftiges Gespräch über die Zukunft des Wolfs führen konnte.
Irgendwie verstand Brodie sie. »Ich will, dass Sie mir gleich morgen früh den Pferch zeigen, den Sie gefunden haben«, sagte er schroff. »Gute Nacht.« Damit ließ er Eliza und Noah allein.
»W as haben wir getan, Noah?«, fragte Eliza, als sie allein waren.
»Das einzig Richtige, Eliza«, erwiderte Noah.
21
Am nächsten Morgen wartete Alistair bereits an einem Tisch im Speisesaal, als Katie zur Tür hereinkam. Kaum sah er sie, erschien ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht, und Katies Herz schlug schneller. Sie konnte sehen, dass er bereits eine Kanne Tee und zwei Tassen bestellt hatte, und sie freute sich über diese vermeintlich liebevolle Geste. Als Katie sich dem Tisch näherte, erhob Alistair sich und schob ihren Stuhl für sie zurück. Nicht eine Sekunde wandte er den Blick von ihr ab.
Katies Herz schlug so heftig, dass ihr schwindelig wurde.
»Haben Sie gut geschlafen?«,
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