Im Schatten des Teebaums - Roman
auftauchte. »Sie haben uns beinahe zu Tode erschreckt«, fuhr sie ihn an. Sie war wütend und verlegen, ertappt worden zu sein. »W as tun Sie hier? Und warum schleichen Sie sich an uns heran?«
»W as ich hier tue? Was tun Sie um diese Zeit hier draußen? Ich dachte, Sie wären zu Bett gegangen.«
»Ich … ich habe ein Geräusch gehört«, sagte Eliza stockend. »Da habe ich Noah geweckt, damit er mich begleitet, um der Sache auf den Grund zu gehen.« Sie wusste, dass ihre Ausrede sich nicht sehr überzeugend anhörte.
»W as denn für ein Geräusch?«, fragte Brodie mit unverhohlenem Misstrauen.
»Ich weiß nicht. Bloß ein … Geräusch«, stammelte Eliza. Sie ärgerte sich darüber, dass sie nicht glaubhafter klang.
»W arum haben Sie mich denn nicht geweckt? Wenn es gefährlich war – ich habe ein Gewehr.«
»V ielleicht wollte ich nicht, dass Sie auf ein weiteres unschuldiges Tier schießen!«, stieß Eliza verärgert hervor.
»Es könnte der Tiger gewesen sein«, gab Brodie zurück.
»Niemals«, sagte Eliza knapp.
»W oher wollen Sie das wissen?«
»W eil … es hat sich herausgestellt, dass es nur ein Nachbarshund war«, sagte Eliza.
Brodie entging nicht, wie unangenehm Noah diese Erklärung zu sein schien. »Stimmt das, Noah?«, fragte er. »Haben Sie diesen Hund gesehen?« Eliza hatte bereits mehrmals erwähnt, einen Nachbarshund gesehen zu haben, doch er selbst hatte dieses Tier noch nie zu Gesicht bekommen.
Noah schaute ihn mit ausdrucksloser Miene an, ehe er den Blick wieder auf den Boden richtete.
»Noah hat den Hund nicht gesehen. Ich habe ihn gesehen«, sagte Eliza verärgert.
»Kann Noah nicht selbst für sich antworten?«, fragte Brodie.
Noah blickte Eliza an. Sie konnte sehen, dass er dem Druck nicht mehr lange standhielt. Das machte sie so nervös, dass sie kaum noch atmen konnte. »Noah ist schon von der ganzen Stadt schikaniert worden. Müssen Sie das jetzt auch noch tun?«
Brodie musste daran denken, was den beiden hätte zustoßen können, und schüttelte zornig den Kopf. »Hätten Sie plötzlich ohne Waffe vor dem Tiger gestanden, hätten Sie ein Riesenproblem gehabt«, sagte er.
»Das haben wir nicht bedacht«, sagte Eliza in der Hoffnung, er würde das Thema fallen lassen, wenn sie zugab, wie dumm sie sich verhalten hatten.
»Manchmal habe ich den Eindruck, Sie denken überhaupt nicht«, schimpfte Brodie, ehe er auf das Hanging Rocks Inn zuhielt.
Eliza schnitt ihm hinter dem Rücken eine Grimasse, ehe sie ihm folgte. Sie wusste, dass sie sich kindisch benahm, aber sie konnte nicht anders. Sein Auftreten gab ihr immer das Gefühl, ein ungezogenes Schulmädchen zu sein.
Als Eliza und Noah ins Haus kamen, war Brodie nirgends mehr zu sehen. Sie nahmen an, dass er wieder zu Bett gegangen war. Sheba schlich noch immer um Eliza herum, daher nahm sie das zerknüllte Papier mit den Fleischresten aus ihrer Manteltasche und bot der Hündin an, was noch übrig war. Sheba leckte das Papier mit einem solchen Genuss ab, dass Eliza lächeln musste. Als sie sich aufrichtete, sah sie zu ihrer Bestürzung Brodie, der sie von der Diele aus beobachtete – und er sah sehr wütend aus. Eliza fühlte sich ertappt und errötete.
»W o ist denn der Rest von dem Fleisch?«, fragte Brodie.
Eliza wusste nicht, was sie sagen sollte. Offensichtlich ahnte er, dass Sheba nicht das ganze Fleisch bekommen hatte. Sie warf einen Blick auf Noah, der ein paar Meter von ihr entfernt stand und hilflos zu Boden sah.
»Sagen Sie ’ s mir«, verlangte Brodie, während er auf sie zukam.
Eliza gab noch immer keine Antwort. Sie konnte ihm nicht sagen, dass sie das Fleisch dem Wolf gegeben hatte. Brodie würde ihn erschießen.
»Legen Sie etwa Köder für den Tiger aus?«, wollte Brodie wissen. »Haben Sie und Noah ihm eine Falle gestellt?« Er warf einen Blick auf den Aborigine, der ebenso verwirrt wie Eliza aussah.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Eliza.
»W arum sollte ich Ihnen glauben? Sie scheinen aus Gewohnheit zu lügen«, stieß Brodie hervor.
Eliza war verletzt, konnte aber nicht leugnen, dass er recht hatte. Noch nie im Leben hatte sie so viele Lügen erzählt.
Brodies schroffe Stimme hatte Tilly geweckt, die jetzt aus ihrem Zimmer kam. Sie zog den Gürtel ihres Morgenmantels zu und fragte: »W as ist denn hier los?«
»Sie sollten es ihnen lieber sagen, Eliza«, sagte Noah mit leiser Stimme. »Sie brauchen Mr. Chandlers Hilfe.«
»Ich kann ihm nicht vertrauen, Noah!«
Noah trat auf sie
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