Im Schatten des Teebaums - Roman
Namen meiner Töchter?«, fragte Henrietta. Auf einmal wurde ihr klar, dass die Mädchen ihre Schwester in Tantanoola besucht hatten.
Richard hatte genug gehört. Er stieß die Tür auf, und dann standen er und Clive da und starrten ins Zimmer. Henrietta und Matilda fuhren zu ihnen herum. Sie begriffen augenblicklich, dass die beiden Männer ihr Gespräch mit angehört hatten. Es stand ihnen nur zu deutlich in den Gesichtern geschrieben.
Henrietta stöhnte vor Entsetzen auf. Es war schon schlimm genug, dass Richard ihr Geständnis gehört hatte … aber Clive? Das würde alles zwischen ihnen zerstören! Das durfte nicht sein!
Matilda jedoch war froh, dass die Wahrheit endlich heraus war. Es schien, als wäre ihr eine gewaltige Last von den Schultern genommen. Dass sie Richard nun so plötzlich wiedersah, war wundervoll und schrecklich zugleich. Wundervoll, weil sie ihn immer noch liebte. Schrecklich, weil er nun ihr entstelltes Gesicht sah.
Richard blickte sie an, doch Matilda konnte seine Miene nicht deuten. Sie kam sich mit einem Mal nackt vor, als lägen all ihre Makel und Unvollkommenheiten bloß. Sie konnte es nicht ertragen und senkte den Kopf.
»Matilda …«, sagte Richard leise. »Ich kann nicht glauben, dass du hier bist.« Er trat näher, wollte sie berühren, doch sie zuckte zurück.
Henrietta starrte Clive an. »W as … was tust du hier?«, stammelte sie.
»Ich wollte mit Richard sprechen«, sagte er. Er konnte noch immer nicht fassen, was er soeben gehört hatte.
»W arum?«, fragte Henrietta.
»Ich konnte nicht ohne dich nach Montrose aufbrechen und wollte deinen Mann bitten, dich freizugeben, damit wir endlich zusammen sein können. Aber was du eben gesagt hast, Henrietta … ist das wahr? Hast du deine Schwester vor eine Kutsche gestoßen?«
Henrietta wusste nicht, was sie erwidern sollte. Sie starrte Clive an, unfähig, Worte zu finden.
Matilda hielt es nicht mehr in der Bibliothek. Das Widersehen mit Richard und Henriettas Geständnis waren zu viel für sie. Sie sprang auf, rannte an den beiden Männern vorbei, eine Hand auf die vernarbte Seite ihres Gesichts gedrückt, eilte in die Diele und zur Haustür hinaus. Sie wollte nur noch zurück in den Schutz des Hanging Rocks Inn.
Richard zögerte. Er warf einen Blick auf Henrietta und schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber. Abrupt drehte er sich um und folgte Matilda.
Henrietta konnte den Blick nicht von Clive abwenden. Sie sah, wie entsetzt er war, wie ratlos. Er wollte Antworten, doch es gab keine. Was konnte sie, Henrietta, auch zu ihrer Verteidigung vorbringen, wo Clive doch ihr Geständnis mit angehört hatte?
Clive wartete, dass Henrietta etwas sagte. Als sie stumm blieb, ließ er sich schwer auf einen Stuhl sinken. Seine ganze Welt war in sich zusammengestürzt. All die Pläne, die er jahrelang gehegt hatte, waren in einem einzigen Augenblick zunichte gemacht worden.
Henrietta genügte ein Blick in Clives Gesicht, um zu wissen, dass sie ihn verloren hatte. Das Geständnis des Mordversuchs an der eigenen Schwester fast zwanzig Jahre zuvor hatte sie den einzigen Mann gekostet, der sie je wirklich geliebt hatte.
Doch für Henrietta gab es nur einen Menschen, der die Schuld daran trug: Matilda. Wäre sie nicht zurückgekommen, wäre das alles nie passiert.
31
Tilly rannte in den strömenden Regen hinaus und blieb jäh dort stehen, wo der Fußweg auf die Auffahrt stieß. »W o ist der Wagen?«, rief sie verzweifelt. Sie konnte es nicht glauben! Wo war Brodie? Clives Pferd und Wagen standen genau da, wo sie Barneys Wagen zurückgelassen hatte.
Matilda schaute die Auffahrt hinunter, auf das Tor und die Straße zur Stadt; dann in die entgegengesetzte Richtung, zu den Ställen. Sie konnte nicht glauben, dass Brodie ohne sie gefahren war. Nun wusste sie nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollte. In blinder Panik hielt sie auf die Ställe zu.
In diesem Moment kam Richard aus dem Haus und blickte die Auffahrt hinunter. Er konnte nur Clives Wagen sehen, der am Firmenzeichen der Viehauktionshöfe zu erkennen war. Wo aber steckte Matilda? Mit einem Wagen konnte sie unmöglich so schnell verschwunden sein.
Richard schaute in die andere Richtung, die Auffahrt hoch. Eben noch sah er, wie Matilda im strömenden Regen auf die Ställe zuhielt. »Matilda! Warte!«, rief er und eilte ihr nach.
Als Tilly die Ställe erreichte, huschte sie hinein. Sie nahm das Geräusch der Pferde in ihren Boxen und
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