Im Schatten des Teebaums - Roman
mal selbstbewusst auftreten. Mary sah das anders.
»Haben Sie schon mal eine Auszeichnung für Ihre Arbeit bekommen?« Alistair musterte Eliza geringschätzig.
Einen Augenblick verschlug es ihr die Sprache. Alle Augen waren auf sie gerichtet, wie sie nervös feststellte. Da sie erst seit ein paar Monaten bei der Zeitung war und nur eine Hand voll Artikel geschrieben hatte, war ihr natürlich noch kein Journalistenpreis zuteil geworden. Nichtsdestoweniger war sie stolz auf ihre Arbeit.
»Das dachte ich mir«, sagte Alistair voller Genugtuung, als Eliza schwieg. »Ich habe schon mehrere Preise bekommen«, fügte er selbstgefällig hinzu. »Dann wundert es mich nicht, dass ich noch nie von Ihnen gehört habe. Warum suchen Sie sich nicht eine Stelle in einem netten Modegeschäft und überlassen die Berichterstattung denen, die etwas davon verstehen?«
Eliza schäumte innerlich vor Wut, als die Männer an der Theke höhnisch grinsten. »Anscheinend fürchten Sie, die Konkurrenz könnte besser sein, sonst würden Sie sich nicht das Schweigen von Augenzeugen erkaufen«, konterte sie.
»Eher regnet es Katzen und Hunde, als dass ich Leute wie Sie als Konkurrenz betrachte«, erwiderte Alistair herablassend. »Fahren Sie nach Hause. Hier vergeuden Sie nur Ihre Zeit.«
»Ich werde bestimmt nicht vor Leuten wie Ihnen weglaufen. Und ich werde eine viel bessere Story schreiben als Sie!«, sagte Eliza trotzig.
»W arten wir ’ s ab«, entgegnete Alistair gelassen.
»Ganz recht, warten wir ’ s ab. Aber ich rate Ihnen, sich schon mal einen robusten Regenschirm zu besorgen!« Außer sich vor Zorn wirbelte Eliza herum, riss die Tür auf und prallte mit einem Mann zusammen, der gerade eintreten wollte.
»Können Sie nicht aufpassen?«, fuhr Eliza ihn an.
Ihre Aggressivität irritierte den Ankömmling. »Sie hätten mich beinahe umgerannt, nicht umgekehrt.«
Eliza atmete tief durch. »Sie haben recht. Entschuldigen Sie bitte.« Sie blickte in ein hübsches Gesicht mit sehr dunklen Augen.
Der Mann sah Eliza die Verärgerung an. Im Hintergrund konnten sie Alistair McBride hämisch lachen hören. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, fauchte sie. »Das heißt … nein! Aber inzwischen sollte ich daran gewöhnt sein. Seit ich Reporterin geworden bin, muss ich mich mit voreingenommenen Kerlen herumstreiten, die der Meinung sind, dieser Beruf sei nichts für eine Frau. Das kann einem ganz schön auf die Nerven gehen.« Eliza konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Jetzt erst fiel ihr auf, dass der Unbekannte ein Gewehr bei sich trug. »Könnten Sie mir das mal kurz leihen?« Sie deutete mit dem Kinn auf die Waffe. »Ich würde diesem Alistair McBride zu gern einen Schrecken einjagen.«
Der Mann schaute sie prüfend an. Er wusste nicht, ob sie scherzte oder ob es ihr ernst war.
»Schon gut, lassen Sie nur.« Eliza winkte seufzend ab. Ihr Chef wäre sicherlich nicht begeistert, wenn sie der Gegenstand eines Zeitungsartikels würde. »Obwohl ich zu gern sein Gesicht gesehen hätte«, fuhr sie fort und deutete mit dem Daumen hinter sich, wo McBride immer noch Witze über sie riss und die anderen Gäste zum Lachen brachte. »Ich werde es ihm schon noch heimzahlen, diesem geschniegelten Affen.«
Eliza musterte ihr Gegenüber mit verstohlenen Blicken. Wie ein Farmer sah er nicht aus. Und er strahlte Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit aus. Sie konnte sich denken, wer der Fremde war. Und falls sie mit ihrer Vermutung richtig lag, durfte sie sich diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen. »Sie sind nicht zufällig der Jäger, der angeheuert worden ist, um den Tiger zu erlegen?«
»Doch, der bin ich. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Miss …«
»Eliza Dickens.« Sie streckte ihm ihre kleine Hand hin. Der Tigerjäger! Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Der Mann schaute auf ihre Hand und ergriff sie nach kurzem Zögern. Ihre Finger verschwanden vollständig in seiner großen Pranke. Er schüchterte Eliza fast ein wenig ein. Sie gab sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Brodie Chandler«, stellte er sich vor und machte einen Schritt zur Seite, um an ihr vorbeizugehen.
Eliza trat ihm in den Weg. »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Mr. Chandler, oder hat Alistair McBride sich Ihr Schweigen auch erkauft?« Sie fand, dass er sehr gut aussah, auch wenn er mindestens zehn Jahre älter war als sie.
»Ich lasse mir von niemandem den Mund verbieten, Miss Dickens«, erwiderte er. Er hatte eine tiefe, samtige Stimme.
Weitere Kostenlose Bücher