Im Schatten des Teebaums - Roman
sah sie übermüdet aus. »Ich werde gleich mit Jock Milligan reden«, sagte sie zu Tilly, die das Frühstück zubereitete. »Ich will nicht, dass er jemandem von der Falle erzählt. Vielleicht sollten wir das Ganze lieber vergessen. Ich glaube, den Tiger lebend zu fangen ist doch keine so gute Idee.«
Tilly wiegte zweifelnd den Kopf. »W enn Jock Milligan wirklich so von der Idee angetan war, wie du erzählt hast, wirst du ihn kaum mehr davon abbringen können. Außerdem hab ich darüber nachgedacht. So schlecht finde ich die Idee mit der Falle gar nicht – vorausgesetzt, es bleibt bei der einen.«
»Und wenn nicht? Ich habe die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan, weil ich ständig daran denken musste, was passiert, wenn die anderen Farmer davon Wind bekommen und ebenfalls Gruben ausheben. Alle werden mir die Schuld geben, wenn jemand in eine solche Grube fällt und sich verletzt, und dann kann ich die Tiger-Story vergessen. Mein Chef wird mich garantiert rauswerfen.«
»W eißt du was?« Tilly drehte sich zu Eliza um. »Ich werde dich zu Jock begleiten. Er ist ein Einzelgänger, ein bisschen so wie ich. Vielleicht gelingt es mir ja, ihn umzustimmen.«
»Das möchte ich dir nicht zumuten, Tante. Du hast genug anderes zu tun.«
Tilly winkte ab. »Ich muss sowieso in die Stadt. Ich bin Schriftführerin des Komitees für die Landwirtschaftsausstellung, und für heute Morgen ist ein Treffen angesetzt.« Sie hatte sich nicht für diesen Posten beworben, sondern war von den anderen dafür vorgeschlagen worden. Da das Komitee nur ein paar Mal im Jahr unmittelbar vor Beginn der Landwirtschaftsausstellung zusammentrat, hatte Tilly die Wahl angenommen.
»W ann findet die Landwirtschaftssaustellung denn statt?«, fragte Eliza.
»An diesem Wochenende.« Kaum hatte Tilly den Satz ausgesprochen, als sie erschrocken die Augen aufriss.
Eliza sah sie verblüfft an. »W as hast du denn?«
»Mir ist gerade eingefallen, dass wir das Gemüse dieses Jahr in einem von Jock Milligans Schafschurschuppen ausstellen werden und dass er uns außerdem eine Scheune für die Landwirtschaftsausstellung der Schafe zur Verfügung stellt.«
»Ja, und?« Eliza begriff nicht.
»V erstehst du denn nicht? Es werden jede Menge Leute, auch Kinder, auf seinem Grundstück herumlaufen. Wenn nun jemand in die Grube fällt …?«
»O Gott!« Eliza schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Auf einmal kam sie sich schrecklich dumm vor.
Eliza und Tilly sattelten Nell gleich nach dem Frühstück und machten sich auf den Weg zu Jock Milligan. Er war nicht schwer zu finden: Ein großer Berg Erde an der Stelle, an der er seine Grube aushob, wies ihnen den Weg. Jock blickte nur flüchtig auf, als er die Frauen kommen sah, so emsig war er mit dem Graben beschäftigt.
»Morgen, Ladys«, rief er, ohne innezuhalten. Er stand bereits bis zur Brust in der Grube und schaufelte fleißig weiter. Eliza vermutete, dass er die halbe Nacht geschuftet hatte. Seine Begeisterung für die Idee, den Tiger lebend zu fangen, hatte offensichtlich nicht nachgelassen. Es würde kein leichtes Unterfangen sein, ihn davon abzubringen.
»Guten Morgen, Jock«, grüßte Tilly. »W ir möchten mit dir reden.«
»Und worüber?« Jock schaufelte emsig weiter.
»Über die Grube, die du da gerade aushebst.«
»W ie tief sollte sie eigentlich sein, Eliza?«, fragte Jock, während er mit einer Hacke die Erde lockerte. »Und wie breit?« Obwohl es kühl war an diesem Morgen, stand ihm der Schweiß auf der Stirn.
»Ich weiß nicht genau«, antwortete Eliza. »Und genau da liegt das Problem, Jock. Ich glaube, es ist doch keine so gute Idee, den Tiger lebend fangen zu wollen. Wir kennen uns doch gar nicht mit Fallen aus, und wenn jemand auf den Gedanken kommen sollte, es Ihnen nachzumachen …«
Jock hielt inne und blickte sie mit großen Augen an. »Ich sage zu niemandem ein Sterbenswörtchen. Ich will den Tiger fangen und verkaufen. Ich habe die meisten Schafe verloren, also steht es mir zu, auf diese Weise den Verlust wettzumachen.«
»Ich glaube nicht, dass du es geheim halten kannst, Jock«, sagte Tilly. »An diesem Wochenende ist die Landwirtschaftsausstellung, und du wolltest uns ein paar von deinen Schuppen zur Verfügung stellen, vergiss das nicht.«
»Bis dahin habe ich den Tiger längst gefangen, Tilly«, erwiderte er zuversichtlich.
»Meinen Sie?«, fragte Eliza zweifelnd.
»V erlassen Sie sich darauf! Es würde mich nicht wundern, wenn er noch heute Nacht in die
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