Der neue Herrscher
Prolog
Der Höcker auf seinen Schultern behinderte ihn nicht beim Schreiben. Critore wußte, daß er es nur dieser Kunst zu verdanken hatte, daß er noch lebte – und zwar besser als manch anderer. Auf der Tischplatte vor ihm, in einem Kreisring aus Holz, ruhte eine wassergefüllte Kugel aus Glas, viermal so groß wie sein haarloser Kopf. Sie sammelte das wenige Licht, das durch das schmale Fenster hereindrang. Jenseits der Bucht, rechts neben dem riesigen Tempel Achars, ging blutrot die Sonne unter. Die Platten aus der weißgegerbten Rinde des Korkbaums färbten sich rot unter Critores Feder, als sei es ein Zeichen. Der bucklige kleine Mann stand auf, entzündete die Dochte einiger Kerzen, die aus tierischem Fett bestanden. Critore fürchtete die Stunde, in der jene Soldaten kommen und ihn fortführen würden, hinaus aus der gewohnten Umgebung, in eine andere Stadt, fernab im Süden, der Dunkelzone zu.
Er tauchte die Feder ein und schrieb weiter:
Zwei Monde vergingen seit dem Tag, an dem dank wunderbarer Zufälle und listenreichen Kampfes Luxon über Hadamur und mancherlei Dämonen siegte. In Hadam, der Stadt des Shallad Hadamur – der Opfer der Dämonerei ward, der er sich unterworfen hatte – breitete sich die Nachricht schneller aus, als die Habichte fliegen können, die in den Türmen nisten. Und Boten brachten die Kunde in alle Ländereien des riesigen Shalladad, dessen Völker unter der Knute Hadamurs gestöhnt haben. Nicht nur Boten, auch Soldaten und Händler berichteten von den erstaunlichen Siegen des Mannes mit den vielen Gesichtern. Viele, die ungläubig gehofft hatten, hoben ihre Köpfe und sprachen: Diesen Mann kennen wir! Ich kenne ihn als Luxon. Du kennst ihn als Arruf. Ein dritter kennt ihn als Croesus, und es mag andere geben, die ihn unter einem weiteren Namen kennen.
Die hängenden Wolken flammten ein letztes Mal auf, als die Sonne ins Meer tauchte. Die Unschlittkerzen stanken, und die Schreibtinte, die auf dem kleinen Feuer brodelte, stank noch mehr. Critore nahm diesen stechenden Geruch nicht mehr wahr; er hatte ihn gerochen, seit ihn Hadam als Chronisten in den Dienst gezwungen hatte. HADAMS Chronik war geschlossen, und Luxons Chronik war vor zwei Monden aufgefangen worden. Die Tinte, aus zermahlenem Gestein aus dem Weltinnern und Ochsenharn hergestellt, brodelte und schäumte, und, wieder tunkte Critore die Feder ein und schrieb:
Die abenteuerlichen Reisen, gehetzt von Hadamurs Vogelreitern und getrieben von der Suche seiner eigenen Wahrheit, hatten Luxon in mannigfacher Verkleidung durch viele Länder des Shalladad gebracht. Die Boten, die von dort kamen, und alle anderen, sie sagten im Palast des neuen Shallad, daß seine Herrschaft begeistert aufgenommen wird. Auserwählte Kuriere, Herrscher und Fürstinnen mit prächtigem Gefolge, sie machen sich auf den Weg nach Logghard, der Ewigen Stadt, denn dort wird sich Luxon krönen lassen. Auch die Chronik wird zukünftig in Logghard geführt werden. Der Palast des Shallad in Logghard soll bersten vor Fröhlichkeit, so hatte Luxon angeordnet. Er war es auch, der dem Chronisten sagte, daß, nachdem Hadams schwarz(geschrieben)e Chronik geschlossen ist, Luxons Chronik mit blauer Tinte zu schreiben sei. Blau, die Farbe der Treue, sei seine Farbe – er sei sich ebenso treu wie seinem Schwur, ihnen allen ein guter und gerechter Shallad zu sein.
Critore war alt, und das Werk seines Lebens hatte darin bestanden, Botschaften zu hören und sie niederzuschreiben. Er hatte nicht die Jahre gezählt, aber ihrer waren es viele Dutzende gewesen. Viele Bände aus dünnem Kork, in schwarzes Orhako-Leder gebunden, hatte er mit seiner schönen, schwarzen Schrift gefüllt. Wenig davon war bewußte Unwahrheit, das meiste stand so für nachfolgende Geschlechter, wie es sich zugetragen hatte. Wieder fing die Feder auf dem Kork zu kratzen an und hinterließ blaue Spuren.
Sie werden aus Ay-Land ebenso kommen wie von den Heymalländern, aus Anola und aus Morautan. Luxon, der mit einem gewaltigen Troß nach Logghard zog, hat sie alle eingeladen, um mit ihnen zusammen seine Krönung zu feiern. Die Zeit drängt, sagen sie alle, denn er soll weise zu regieren beginnen – zuviel Mißbrauch ward von Hadam getrieben auf Kosten der Völker. Er ließ sie zu oft die Knute spüren, saugte sie aus und strafte sie durch seine Reiter, wenn sie unbotmäßig waren. Sein riesiges Reich taumelte dem Untergang entgegen, weil er es ausbeutete wie ein Geizhals seine gepeitschten
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