Im Schatten des Teebaums - Roman
Ladentisch gelegt hatte, nahm sie dann und legte sie wortlos auf die Waage. Eliza wunderte sich, dass die Posthalterin nicht fragte, weshalb sie außer Atem war. So viel Zurückhaltung passte gar nicht zu Myra. Aber vielleicht wusste sie ja über Nells Eigenarten Bescheid und konnte sich denken, was passiert war.
Als Eliza das Porto bezahlt hatte, fragte Myra, an wen der Brief adressiert werden solle.
»An George Kennedy, Border Watch , 89 Commercial Street East, Mount Gambier«, diktierte Eliza. Sie wartete, bis Myra die Seiten in den Umschlag geschoben und diesen mit Wachs versiegelt hatte. Myras frostigem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, passte es ihr gar nicht, dass man ihr offenbar nicht vertraute. Aber Eliza wollte unter keinen Umständen, dass jeder in der Stadt erfuhr, was in ihrem Artikel stand, bevor er in ihrer Zeitung erschienen war. Sollte Myra ruhig beleidigt sein. Erst als der Umschlag versiegelt war, atmete Eliza auf. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen.
Sie schaute auf die Uhr an der Wand und traute ihren Augen kaum. Es war erst fünf Minuten vor halb fünf. In nur fünfundzwanzig Minuten hatte sie die Stute gesattelt, war in die Stadt geritten und hatte ihren Brief zur Post gebracht!
Sie blickte Myra an. »Der geht doch heute noch mit dem letzten Zug weg, nicht?«
»Ich habe den Postsack schon verschnürt, er wird also bis morgen warten müssen«, erwiderte Myra hochnäsig.
Eliza konnte es nicht fassen. Sollte etwa alles umsonst gewesen sein? »Aber der Brief muss unbedingt heute noch raus! Mein Chef wartet darauf!«
»Dann hätten Sie früher kommen müssen«, sagte Myra eisig. »Ich verschnüre den Postsack exakt um vier Uhr fünfzehn.«
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, versetzte Eliza zornig. »Sie sehen doch, dass ich außer Atem bin!«
Auf der anderen Seite des Ladens stand eine Frau und betrachtete die dort ausliegenden Bücher. Der Wortwechsel zwischen Myra und Eliza war ihr nicht entgangen. Sie drehte sich um und sagte:
»Du meine Güte, Myra, dann mach den Sack eben noch mal auf, und steck den Brief hinein!«
Myra warf der Dame einen eisigen Blick zu, der besagte, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern solle. Doch bei der Frau schien es sich um ein angesehenes Mitglied der Gemeinde zu handeln, denn Myra wagte es nicht, ihre Meinung laut zu äußern.
Eliza drehte sich um und sah zu ihrer Überraschung, dass die Frau, die Partei für sie ergriffen hatte, schon sehr alt war. Sie schätzte sie auf neunzig Jahre. Doch ihre strahlenden, klugen Augen waren die eines viel jüngeren Menschen.
»Die junge Dame ist Reporterin, nicht wahr?«, wandte sie sich an Myra, als ob Eliza nicht für sich selbst sprechen könnte.
»Ja«, antwortete Myra kurz angebunden.
»Nun, dann hat sie es in der Hand, unsere Stadt ins Rampenlicht zu rücken.«
Eliza hätte die alte Dame umarmen mögen. »So weit würde ich nicht gehen, aber mein Chef wartet auf meinen Artikel, wissen Sie. Wenn ich nichts von mir hören lasse, ruft er mich nach Mount Gambier zurück.«
Die alte Dame nickte verständnisvoll. »Und das wollen Sie nicht, habe ich recht?«
»Ich möchte ihm beweisen, was ich kann. Das ist vielleicht meine letzte Chance.«
»Hast du das gehört, Myra?« Die alte Frau zeigte anklagend mit ihrem Gehstock auf sie. »Der Brief muss heute noch in die Post. Also mach endlich den Postsack auf, und steck ihn rein!«
»Na schön, meinetwegen«, brummte Myra widerwillig. Sie holte den Postsack hervor, band ihn auf, steckte Elizas Brief hinein, schnürte den Sack wieder zu und warf ihn auf den Boden.
Die alte Dame, die sich schwer auf ihren Stock stützte, verließ das Postamt ohne ein weiteres Wort. Eliza folgte ihr. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte sie. »Ohne Sie wäre meine Post heute nicht mehr auf den Zug gekommen. Ich bin übrigens Eliza Dickens.«
»Myra hat sich wie ein richtiges Miststück aufgeführt«, sagte die Frau.
Eliza riss verwundert die Augen auf. Eine solch derbe Ausdrucksweise hätte sie von der alten Dame nicht erwartet. Die Frau lächelte, und ihre blauen Augen funkelten. »So ist es doch! Sie müssen entschuldigen, Kindchen, aber ich habe die Dinge mein Leben lang beim Namen genannt. Manchmal sollte man Myra wirklich einen Tritt in den …« Sie verstummte und fuhr dann fort: »… na, Sie wissen schon, wohin.«
Eliza lachte auf.
»Ich bin Sarah Hargraves. Mein verstorbener Mann und ich hatten eines der ersten Häuser
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