Im Schatten des Teebaums - Roman
besonders, stimmt ’ s, Tante?«
»In einer kleinen Stadt wie dieser versucht man, mit allen auszukommen, aber ich kann nicht gerade behaupten, dass Myra zu meinen liebsten Bekannten zählt.«
Eliza riss das Telegramm auf. Es war von George Kennedy, was sie nicht überraschte, und lautete kurz und bündig:
Was ist los, Miss Dickens? Ich warte auf Ihre Story!
»V om wem ist es?«, fragte Tilly.
»V on meinem Chef.«
»Und? Was will er? Beordert er dich etwa nach Mount Gambier zurück?«
»Nein, er schreibt, er wartet auf meine Story.« Eliza seufzte. »Allzu viel kann ich ihm nicht über den Tiger berichten, aber ich sollte ihm wenigstens ein paar Zeilen schicken, damit er zufrieden ist. Wenn ich mich beeile, geht die Post noch mit dem Abendzug ab. Oder gibt es noch einen anderen Zug, der früher fährt?«
»Heute müssten mindestens drei Züge in Richtung Mount Gambier fahren«, sagte Tilly.
Als die beiden Frauen am Hotel vorbeigingen, trat Brodie Chandler heraus. Er nickte ihnen knapp zu und sagte zu Eliza: »Ich hoffe, Jock Milligan wird meinen Rat befolgen.«
»Er ist sich noch nicht schlüssig«, erwiderte sie aufrichtig.
In diesem Moment verließ Alistair McBride das Hotel. Er hatte ein paar Wortfetzen aufgeschnappt und war sogleich hellhörig geworden. »W as ist denn mit Jock Milligan, Mr. Chandler?«, fragte er Brodie.
Eliza erschrak. McBride durfte auf keinen Fall von der Tigergrube erfahren! Er würde seiner Zeitung einen Artikel schicken, ehe sie selbst dazu käme. Eliza konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihr Chef reagierte, wenn er erfuhr, dass die Konkurrenz schneller gewesen war.
»Mit Jock Milligan ist gar nichts. Außerdem ist es unhöflich zu lauschen«, versetzte sie schnippisch.
Brodie funkelte sie zornig an. Eliza merkte, wie ihre Wangen zu glühen anfingen.
Alistairs Blick wanderte von Eliza zu Brodie. »Ach ja? Dafür, dass gar nichts ist, wirken Sie aber ziemlich aufgebracht.«
Brodie ging ohne ein weiteres Wort davon.
»Haben Sie nichts dazu zu sagen, Mr. Chandler?«, rief der Reporter ihm nach.
Eliza hielt den Atem an. Sie hoffte inständig, dass Brodie sich nicht zu einer unbedachten Äußerung provozieren ließ. Doch ohne sich noch einmal umzudrehen, ging er zu seinem Pferd, das neben dem Hotel angebunden war, stieg auf und galoppierte davon.
Als Eliza und Tilly nach Hause kamen, stand Brodies Hengst auf Nells Koppel.
»Oje«, murmelte Tilly, der nichts Gutes schwante. Brodie würde garantiert stocksauer auf sie und ihre Nichte sein. Sie bat Eliza, die Stute abzusatteln, damit sie selbst den Zucker in die Vorratskammer bringen konnte.
Eliza trödelte absichtlich, um die Begegnung mit Brodie hinauszuzögern, doch da sie ihren Artikel schreiben musste, blieb ihr nichts anderes übrig, als schließlich irgendwann hineinzugehen. Brodie saß am Küchentisch und studierte eine Landkarte. Er blickte kurz auf, als Eliza erschien. Dumpfes, angespanntes Schweigen breitete sich aus. Eliza schnappte sich ihr Notizbuch, das auf dem Tisch lag, und wandte sich wieder zum Gehen.
»Sie haben genau gewusst, warum Jock Milligan mich nicht auf seinem Land haben wollte«, sagte Brodie anklagend.
Eliza drehte sich zu ihm um. »Er wollte nicht, dass jemand von der Falle erfährt, weil er befürchtete, dass andere Farmer es ihm nachmachen.«
»Sie können nur hoffen, dass er die Grube wieder zuschüttet«, sagte Brodie. »Sie ist bei weitem nicht tief genug für einen ausgewachsenen Tiger.«
Eliza breitete hilflos die Arme aus. »Meine Tante und ich haben ihm zu erklären versucht, warum das mit der Falle keine gute Idee ist.«
»Ich habe schon genug am Hals, auch ohne Jock Milligan und seinen blödsinnigen Plan«, stieß Brodie hervor. »W issen Sie eigentlich, wie schwer es sein wird, das Tier aufzuspüren, wenn sich so viele Leute wie an diesem Wochenende hier aufhalten?«
Eliza schaute verlegen drein. Sie hatte nicht daran gedacht, unter welchem Druck Brodie angesichts der zahlreichen Besucher der Landwirtschaftsausstellung stand.
Brodie faltete die Karte zusammen, griff nach seinem Gewehr und wandte sich zum Gehen. In diesem Moment betrat Tilly das Haus.
»W ollen Sie schon wieder weg?«, fragte sie.
»Ja, und ich werde heute nicht zum Abendessen da sein. Ich muss den Tiger erwischen, bevor ein gewisser Farmer seine Dummheit mit dem Leben bezahlt.« Damit stapfte Brodie hinaus.
Eliza und Tilly schauten ihm nach. »Er wirkt ganz schön angespannt«, meinte
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