Im Schatten des Teebaums - Roman
bevor er sich in Tantanoola niederließ. Seine Mutter, Betty, ist vor etwa zehn Jahren gestorben. Ich bin ihr ein paar Mal begegnet, als der Clan hier vorbeikam. Sie war ein echtes Original, aber ich habe keine Ahnung, wie es dazu kam, dass sie sich mit jemandem wie Barry Hall eingelassen hat.«
Wieder ließ Tilly den Blick in die Runde schweifen; dann fuhr sie fort: »Es gäbe eine Katastrophe, wenn die Leute in der Stadt das mit Noahs Vater erfahren sollten. Sie sind so schon schlimm genug. Ich glaube, sie würden den armen Noah lynchen!«
»Ich werde zu keiner Menschenseele ein Wort sagen, Tante. Ich kenne Noah kaum, aber ich mag ihn sehr, und ich finde es abscheulich, wie er behandelt wird.«
»Da hat du recht«, pflichtete Tilly ihr bei.
Alistair konnte sein Glück kaum fassen. Das Gespräch, das er belauscht hatte, war eine wahre Goldgrube! Er eilte zurück zu seinem Zimmer im Hotel. Er sah nicht einmal Katie, die vor dem Gemeindesaal der Kirche stand und ihm zuwinkte.
Noah Rigbys Vater war also Barry Hall – der Bushranger. Was für eine Story! Barry Hall war ein berüchtigter Schafdieb, Postkutschen- und Bankräuber gewesen. Wenn Alistair sich recht erinnerte, hatte sich ein mutiger Bankangestellter in der Kleinstadt Saddleworth geweigert, Barry Geld auszuhändigen, und war von dem Räuber erschossen worden. Wegen dieses Mordes hatte man Barry Hall gehängt.
Was für eine Story! Und das Beste von allem – er hatte die Geschichte von Eliza und ihrer Tante bekommen! Alistair kam aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus.
Eliza reckte den Hals, um zu sehen, ob sie Katie irgendwo entdecken konnte. »Ich hoffe, Katie läuft nicht wieder McBride über den Weg«, sagte sie.
»Das wird sie vermutlich, und du kannst es nicht verhindern«, sagte Tilly.
»Es gibt so nette junge Männer. Warum muss es ausgerechnet Alistair sein?«
Tilly zuckte die Schultern. »Du kannst nicht leugnen, dass er ein ansehnlicher Kerl ist. Nicht so gut aussehend wie Brodie Chandler, wenn du mich fragst, aber deine Schwester ist offenbar in ihn verschossen.«
»W ar meine Mutter in dem Alter eigentlich so wie Katie?«, fragte Eliza.
»Ja. Katie erinnert mich an Henrietta«, sagte Tilly.
»Habt ihr beide, du und Mom, euch je nahegestanden?« Eliza konnte sehen, dass die Frage ihrer Tante nicht behagte, und fügte hinzu: »Ich frage nur, weil Katie und ich ziemlich verschieden sind. Du und Mom – ihr scheint ebenso verschieden zu sein.«
»Steht ihr beide euch denn nicht nahe?«, fragte Tilly, um die Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken.
»Eigentlich nicht. Es ist schwer, wenn man nur wenig gemeinsam hat, und Katie und ich sind wie Feuer und Eis. Ich liebe sie, weil sie meine Schwester ist, aber ich stehe Dad näher als Mom oder Katie.«
Tilly nickte. »Du bist eher wie dein Vater«, sagte sie wehmütig.
Eliza wollte sie zu gern nach der Liebesaffäre mit ihrem Dad fragen, musste sich der Sache jedoch behutsam annähern. »Katie will gerne eine Familie gründen, während ich mich immer nur für meine Arbeit und die Jagd nach aufregenden Geschichten interessiert habe … nicht dass es in Mount Gambier viele aufregende Geschichten gibt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich schon Ärger mit Mr. Kennedy hatte, weil ich irgendwelchen ›Klatsch‹ geschrieben habe, wie er es nennt.«
Tilly musste lächeln, als sie daran dachte, wie George zu ihr gesagt hatte, Eliza würde ihn mitunter zur Verzweiflung treiben.
»Hast du dich gefreut, deine Schulzeit mit Mr. Kennedy wiederaufleben zu lassen?«, fragte Eliza.
»Oh, das habe ich!«, erwiderte Tilly. »Sehr sogar!«
»Ihr müsst in der Schule gut befreundet gewesen sein.«
»Nun ja, wir kannten uns, aber wir standen uns nicht besonders nahe. Obwohl … er hat zugegeben, dass er ein bisschen in mich verliebt gewesen ist.« Tilly lächelte. »Du würdest nicht glauben, wie schüchtern er war.«
»Schüchtern? Mr. Kennedy?« Eliza konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, dass ihr poltriger Chef als junger Mann schüchtern gewesen sein sollte.
»Er hat sich sehr verändert«, sagte Tilly. »W ir alle.« Trotzdem – man hätte den Eindruck gewinnen können, George sei noch immer interessiert an ihr. Doch Tilly war sicher, dass das nicht der Fall war. Nicht nach all den Jahren – und mit ihrem verunstalteten Gesicht.
»W eiß du, was ich ihn gefragt habe?«, sagte Eliza.
»W as denn?«, fragte Tilly gespannt.
»W arum er dich nicht gefragt hat, ob du mit ihm
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