Im Schatten des Teebaums - Roman
die Handarbeiten natürlich nur kurz ansehen und dann wieder nach Alistair Ausschau halten – aber das musste ihre Schwester ja nicht wissen. Sie vereinbarten, sich eine Stunde später vor der Kirche zu treffen, und Katie eilte fröhlich davon.
Eliza sah ihr kopfschüttelnd nach. »Ich hoffe, sie handelt sich keinen Ärger ein. Als sie noch mit Thomas Clarke ausging, war sie mir lieber. So, wie es im Moment aussieht, könnte ich nicht sagen, was sie als Nächstes tut.«
»Na ja, bei den Handarbeitsständen kann sie sich nicht viel Ärger einhandeln«, sagte Tilly. »W arum bist du nicht mitgegangen?«
»Ich interessiere mich nicht besonders fürs Nähen oder Stricken, aber ich bewundere Leute, die malen können. Warum hast du nicht ein paar deiner Bilder mitgebracht, um sie hier in der Stadt zu zeigen?«, fragte Eliza.
»Ich habe dem Komitee fast jedes Jahr vorgeschlagen, eine Gemäldeausstellung zu machen, doch die Idee wurde nie allzu begeistert aufgenommen. Und ich allein habe für eine Ausstellung noch nicht genug zustande gebracht. Noah wäre der Richtige. Er ist ein begnadeter Maler. Aber du hast ja selbst gesehen, wie die Leute zu Noah sein können.« Während sie sprach, steuerte Tilly auf eine Bank zu und setzte sich. Die Sonne war inzwischen zum Vorschein gekommen, und es war ziemlich warm, eine Ankündigung des nahenden Frühlings. Eliza setzte sich zu ihrer Tante, und Sheba streckte sich zu ihren Füßen aus.
»Noah tut mir wirklich leid«, sagte Eliza, in Gedanken wieder bei dem, was zuvor passiert war. »Es ist abscheulich, wie die Leute in der Stadt ihn behandeln.«
Weder Tilly noch Eliza bemerkten Alistair McBride, der auf der Suche nach Katie war. Er entdeckte die beiden Frauen auf der Bank neben dem Heuschober, der als behelfsmäßiger Stall für die beim Springreiten startenden Pferde diente. Alistair hätte ihnen keine Beachtung geschenkt, doch sie schienen in ein angeregtes Gespräch vertieft zu sein, was die Neugier des Reporters in ihm weckte. Der Heuschober war auf zwei Seiten offen, und die Bank, auf der Tilly und Eliza saßen, befand sich auf der anderen Seite einer Wellblechwand. Zwei abgesattelte Springpferde standen in dem Schober; ihre Reiter schauten gebannt den Konkurrenten zu. Alistair tat, als würde er sich für die Pferde interessieren, während er sich so hinstellte, dass er Tillys und Elizas Gespräch belauschen konnte. Vielleicht schnappte er irgendetwas Brauchbares für seinen Artikel auf.
»Diese rassistischen Sticheleien dauern schon an, seit ich hier bin«, sagte Tilly.
»Es ist ein Unding, dass immer auf ihm herumgehackt wird, nur weil er ein Aborigine ist!«, schimpfte Eliza.
Alistair erkannte rasch, dass sie über Noah sprachen, ein für ihn uninteressantes Thema. Er wollte sich schon davonschleichen, als er Tilly sagen hörte:
»Er ist nur ein halber Aborigine. Sein Vater war Weißer, auch wenn das offenbar keine Rolle spielt.«
»Ich dachte mir schon, dass er kein reinblütiger Aborigine ist«, sagte Eliza. Auch wenn Noah eine breite Nase und Kraushaar hatte – seine Haut war nicht so dunkel wie die anderer Aborigines.
»W enn die Verrückten in dieser Stadt die Wahrheit über seine Herkunft wüssten, würden sie ihn vermutlich aus der Stadt verjagen oder aufhängen«, sagte Tilly bedrückt.
Jetzt war Alistairs Interesse geweckt.
»W as meinst du damit?«, fragte Eliza verwundert.
»Noah hat mir im Vertrauen erzählt, sein Vater sei BarryHall«, sagte Tilly.
Alistairs Augen weiteten sich.
»Der Barry Hall?« Eliza konnte es nicht glauben. Hall war in ganz South Australia und Victoria berüchtigt.
»Pssst«, machte Tilly, wobei sie den Blick schweifen ließ, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war. »Ja, sein Vater ist Barry Hall, der Bushranger.«
»W urde der nicht schon vor langer Zeit gehängt?«
»Ja, im Gefängnis von Adelaide. Er hatte mehrere Schwerverbrechen begangen, darunter Mord, aber er war auch ein Schafdieb. Daher kannst du dir sicher vorstellen, warum Noah nicht versessen darauf ist, dass seine Herkunft ans Licht kommt. Die Leute reden immer noch über Barry Hall.«
»Ich verstehe. Noah hat mir erzählt, er sei von einem der hiesigen Stämme, den Bunganditji, und dieser Stamm wiederum sei einer der größten Clans auf dem Land der Ngarringjeri.«
»Das stimmt. Noahs Mutter stammte vom Bunganditji-Clan, und er hat seine Jugend dort verbracht. Als er alt genug war, um zu arbeiten, ist er eine Weile durchs Land gezogen,
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