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Im Schatten des Vogels

Im Schatten des Vogels

Titel: Im Schatten des Vogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Lüders
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spielen, nähen. Ein Kleid anziehen. Will nicht wie ein Faulpelz herumliegen.
    Wie sehr ich auch schreie, niemand antwortet. Bin ich allein zu Hause? Eiskalt vor Furcht ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Spreche das Vaterunser und all meine Gebete, summe Psalmen, bis ich wegdämmere.
    «Engelchen, hast du dich jetzt beruhigt?», höre ich Vigfús fragen. Meine Augen sind geschlossen, ich höre, wie er sich setzt und in Position bringt. Weiß genau, wo er sitzt und wie er sitzt.
    «Willst du dich nicht aufsetzen und etwas essen?»
    Ich antworte nicht, rühre mich nicht.
    «Nun setz dich auf, meine Liebe, das ist dein Fleisch. Dir lag doch so viel daran, es zu bekommen. Jetzt iss auch.»
    Was für ein Ton ist das? Wirft er mir etwas vor? Da bemerke ich, dass er an der ihm zugewandten Seite eine winzige Luke öffnet. Eine kleine Luke in die Freiheit.
    Ich richte mich mühsam auf und sehe Vigfús dasitzen. Wie konnte mir bloß einfallen, ihn zu heiraten? Ahnte nicht, dass er mich einsperren würde.
    Sehe den Teller und wie er das Essen durch die Luke reicht. Die kleine Luke, die er so praktisch eingebaut hat. Der Kunsttischler. Merke, wie ich von Abscheu erfüllt werde, und boxe so fest ich kann durch die Luke. Schlage ihm den Teller aus der Hand. Sehe Fleisch und Kartoffeln auf ihn fliegen. Höre ihn fluchen. Lege mich hin und kehre ihm den Rücken.
    Dann beginne ich zu singen, erst mit leiser Stimme, dann aber lauter, je länger ich singe:
    Himmlisches Licht mein Herz erhellt,
immer, wenn ich wein’,
denn Gott meine Tränen zählt –
ich glaube und lass’ mich getröstet sein.
    Singe so lange weiter, bis ich wegdämmere. Wache in tiefster Dunkelheit wieder auf und singe aus voller Kehle. Vigfús brüllt etwas, doch ich verstehe ihn nicht wegen des Brummens in meinem Kopf und des Gesangs in mir. Singe und schlafe abwechselnd.Merke keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht.
    «Þorgerður! Þorgerður, Liebes! Wo bist du, Mädchen? Komm her! Ich möchte stricken!»
    Ich glaube, dass schon Frühling ist. Müsste nicht bald Sommer sein? Ich bin schon so lange eingeschlossen. Diese Höllenkälte hier auf dem Boden!
    Þorgerður setzt sich mir gegenüber, klein und zierlich. Bekommt es etwa nichts zu essen, das Kind?
    «Bring mir das Strickzeug, sofort, Mädchen!»
    «Ich darf nicht, du könntest dir damit etwas antun. Aber ich kann dir etwas erzählen. Möchtest du, dass ich lese?»
    «Wo hast du dich herumgetrieben? Ich habe mich heiser geschrien.»
    «Ich war in der Schule.»
    «Du weißt, dass ich Gesang unterrichte. Lass mich raus. Dieses verfluchte Eingesperrtsein die ganze Zeit.»
    «Rede nicht so hässlich, liebste Mutter!»
    «Ich will einfach raus!»
    «Vater entscheidet das.»
    «Nein, das entscheidet er überhaupt nicht. Hol ihn sofort her. Er muss mich rauslassen, der verdammte Betrüger.»
    «Mutter, du warst mal ganz anders.»
    «Hol den Mösenstecher!»
    «Hör auf damit, sonst gehe ich und lasse dich wieder allein.»
    «Setz dich auf, meine Liebe. Du musst etwas essen!»
    Er sitzt vor dem Käfig. Ich schließe die Augen, schrecklich, ihn ansehen zu müssen.
    «Was gibt es zu essen?»
    «Frischen Fisch, probier mal, wie gut der schmeckt.»
    «Ich will Fleisch!»
    «Ich weiß, aber wir können nicht jeden Tag Fleisch essen.»
    «Dann will ich nichts essen.»
    «Du musst essen. Sonst stirbst du.»
    Ich öffne die Augen, setze mich auf, der ganze Körper steif.
    «Wie abscheulich du sein kannst, Vigfús! Wie konnte mir bloß einfallen, dich zu heiraten?»
    «Lass bloß niemanden dein Geschwätz hören, meine Liebe. Hier, nun iss!» Er öffnet die Luke.
    «Ich wünschte, ich wäre tot.»
    «Dazu kommt es schon noch.»
    Schrecke in der Dunkelheit auf und höre ein Rasseln. Sehe nichts, spüre aber, dass mich das Ungeheuer anstarrt. Mit all seinen Augen.
    Rufe nach Kristbjörg. Bitte sie, mich zu beschützen. Glaube, dass ich das Biest mit Krach von mir fernhalten kann. Singe aus voller Kehle, Vigfús schimpft und befiehlt mir, zu schweigen, doch ich singe weiter, bis es hell wird.
    Da habe ich schon keine Stimme mehr. Das Ungeheuer verschwindet vom Rand des Podests und schleppt sich die Treppe hinunter, und ich dämmere todmüde weg und schlafe bis in den Tag hinein.
    Die Tage sind lang, die Nächte länger. Ich döse, schreie, singe und schlage um mich, doch auszubrechen ist hoffnungslos. Die Fäuste sind zerkratzt von der ewigen Boxerei. Ich sehne mich nach etwas Sauberem und Trockenem. Sehne mich nach

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