Im Schatten des Vogels
schon zu Hause in meinem Bett.
Vigfús tobt. Es sei nur rechtens, wenn ich mich im Gletscherfluss umbringen wolle, unentschuldbar aber sei es, das Pferd dermaßen zur Erschöpfung zu schinden. Ingi bringt ihn zum Schweigen. Ich gehe ins Bett, finde den Vogel und suche Schutz unter ihm. Werde nie wieder aufstehen.
Tagelang sitzt Þorgerður an meinem Bettrand.
Kühle Luft empfängt mich draußen auf dem Hof. Lehne mich an den Türrahmen. Stiere hinaus in die Dunkelheit, höre in der Ferne Wellen branden. Schimpfe die Hunde aus. Versuche, mich zu orientieren, und laufe quer über die Wiese. Hoffentlich auf dem richtigen Weg. Rudere in der Luft, wacklig auf den Beinen in dicken Wollsocken. Sofort durchnässt. Hocke mich kurz hin und verschnaufe. Dämmere weg. Springe schlotternd auf die Beine. Wickle das Schultertuch fester um das Nachthemd.
Im Stall ist es warm und angenehm. Weiß, dass die Schafe Seite an Seite liegen, und mit einem Mal habe ich das Verlangen, mich zu ihnen zu legen und ganz fallen zu lassen. Doch dann mischt sich unter den Stallgeruch der Duft von frisch gekochtem Fleisch, und auch frisch gebrannte Kaffeebohnen sind da. Das Wasser läuft mir im Munde zusammen. Erinnere mich, weshalb ich hergekommen bin. Sollte meinen Leuten mal etwas Richtiges zu essen geben. Hier habe ich das Sagen!
Recke mich hoch zu den Dachsparren, wo die Sensen aufbewahrt werden. Taste mich in der Dunkelheit voran und finde,was ich suche. Sehe kaum die Hand vor Augen, prüfe die Schärfe, suche den Schleifstein, finde ihn aber nicht. Da fällt mir ein kleines Messer in die Hände. An die Dunkelheit gewöhnt, sehe ich lauter Augen funkeln. Sie strahlen wie Sterne in der Dunkelheit. Gehe auf die Sterne zu, packe ein Horn und stoße das Messer in die Kehle.
Ein warmer Blutschwall schwappt auf mich. Die Tiere springen auf und rennen blökend und tretend umher. Kommen nicht hinaus, eingesperrt im Verschlag. Das Schaf, das sich im Todeskampf windet, habe ich fest im Griff. Es ist stark, doch ich bin stärker. Das Blut spritzt auf Gesicht und Hals. Jetzt liegt es still, das Zucken hört auf. Ich nehme mir keine Zeit, das Blut von den Lippen zu lecken. Packe das nächste und das übernächste, mit ruhigen, entschlossenen Griffen. Hier soll Fleisch werden – und nicht zu knapp! Will so viele Schafe schlachten, dass ich Fleisch kochen kann, wann immer ich Lust habe. Das sind meine Schafe, mein Fleisch, und ich habe genug vom ewigen Fraß.
Diese verdammte Dunkelheit. Ich bewege mich vorsichtig, rutsche aber auf dem glatten Boden aus. Falle der Länge nach hin. Verliere das Messer. Taste herum. Drehe mich auf den Bauch. Versuche aufzustehen, finde aber nirgendwo Halt, und die Schafe stoßen mich immer wieder um. Ein stechender Schmerz in der rechten Schulter.
Hundegebell, und jemand reißt die Tür auf. Sofort wird Licht gemacht.
«Es ist deine Mutter», ruft jemand durch den Türspalt. Vielleicht Vigfús. Ich erkenne die Stimme nicht, höre nichts wegen des Brummens in den Ohren, spüre aber die Tritte der Schafe, die über mich trampeln. Drehe mich weg, meide das Licht und erinnere mich an nichts weiter.
Das Pochen in meinem Kopf gleicht Hammerschlägen. Ich versuche, weiterzuschlafen, doch meine Schulter schmerzt so sehr. Erinnere mich verschwommen an jemanden, der mich gewaschen und mir ins Bett geholfen hat. Glaube, dass Einar bei mir gesessen und mich im Arm gehalten hat. Mir Kaffee gebracht. Mutter und Halldóra waren sicher auch da.
Jemand setzt sich ans Bett. Ich krieche unter der Decke hervor. Kann mich kaum bewegen, der ganze Leib wund. Da sitzt Ingi, mein Bruder. Ich bin außer mir vor Freude und rufe: «Ingi – du bist also nicht tot?»
Die Sonne scheint durchs Fenster und beleuchtet den Staub in der Luft.
«Mütterchen», sagt er und streichelt mir über die Wange. Da erkenne ich, dass es sein Namensvetter ist. Das Haar kupferrot, die Haut hell und schön. Die Sommersprossen nahezu verschwunden. Es ist schön, ihn zu sehen, groß und stark. Ich versuche, mich aufzusetzen, und er hilft mir dabei. Schnell wird alles klar in meinem Kopf, und ich erinnere mich an den kleinen Jungen, der eine Antwort wollte. Nehme seine Hand und flüstere: «Weißt du noch, weißt du noch vor vielen Jahren? Du hast dich mit den Leuten vom unteren Hof geprügelt, hast gefragt, aber ich hatte keine Antwort.» Komme nicht weiter. Ingi nimmt mich fest in den Arm, wiegt mich wie ein Kind und flüstert: «Nicht, Mutter, sag das
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