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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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ich sie nicht gehalten. Leider war es nicht der rechte Augenblick, dieses Pri-vileg zu genießen. Ich selbst hatte das nasse Abenteuer recht gut überstanden, war im Schwimmen und Tauchen geübt. Als Junge hatte ich oft genug die Sarthe durchschwömmen, um mich vor den anderen Knaben, die Jagd auf den Bastard machten, in Sicherheit zu bringen.
    Clément fiel vor mir auf den schlammigen Boden. Zwei Pfeile spickten seinen toten Leib. Alle Mühe schien vergebens gewesen zu sein, wir waren von einem Verhängnis ins nächste geraten.
    Ananke!
    Wie im Kerker die kurzen Bolzen, durchschnitten jetzt längere Pfeile die Luft und trachteten nach unserem Leben. Ihr feines Sirren ging unter in einem Gewitter, das nicht vom Himmel kam. Arkebusiere feuerten auf uns, und die schweren Geschosse pflügten den Boden auf. Hinter der Rauchwand, die von den Arkebusen aufstieg, sah ich die blauen Waffen-hemden der Soldaten. Auch sie gehörten zu des Königs Schützen.
    »Sucht Deckung!« schrie Leonardo. »Hinter die Felsen und Bü-
    sche!«
    Eine andere Stimme vermischte sich mit seinem Ruf, ein militärischer Befehl: »Hellebardiere vor! Zum Angriff!«
    An der Spitze der heranstürmenden Hellebardenträger ritt ihr Hauptmann auf einem großen Rappen, den Degen kühn und malerisch zugleich vorgereckt. Ein hochgewachsener Offizier mit einem ge-wichsten Burgunderschnurrbart in prachtvoll glänzender Rüstung.
    Ein Bild, wie es die feinen Damen lieben, und nicht nur die. In mir weckte es eine unbestimmte Erinnerung.
    Ich sah uns alle schon von den Hellebarden aufgespießt, von den Pfeilen durchbohrt, von den Kugeln der Arkebusen zerfetzt – und war fest entschlossen, Colette mit meinem Leben zu verteidigen. Da löste sich ein bunter Aufzug aus den Mauern um den königlichen Garten und schob sich mit Tanz und Musik zwischen uns und die Soldaten, die ihren Angriff wohl oder übel abbrechen mußten.
    »Die Ägypter, na endlich!«
    In Villons Stimme schwang Erleichterung mit, wie wir sie angesichts des rettenden Aufmarsches alle empfanden. Mathias Hungadi Spicali hatte Wort gehalten. Trotz aller Flüche und Befehle der Soldaten setzten die Ägypter ihre Tänze und Possen fort, als verstünden sie kein Wort. Die braunhäutigen Frauen wirbelten zu lauter, fröhlicher Musik um die Schützen des Königs herum, daß mancher der wackeren Recken versucht sein mochte, den Dienstschluss vorzuziehen und sich mit den glutäugigen Schönheiten zu beschäftigen. La Esmeralda führte den Reigen an, bestimmte mit dem Tamburin das schnelle Tempo der verführerischen Drehungen und schmiss ihre schlanken Beine höher als alle anderen. Trotz unserer misslichen Lage ließ ich mich vom Anblick der schönen jungen Ägypterin verzaubern.
    »Hierher, zum Boot!« rief eine helle Stimme, die dem Vater von la Esmeralda gehörte. Er stand, heftig winkend, mit ein paar anderen Zigeunern am Fluss. Sie hielten ein großes Ruderboot fest.
    Wir liefen, sprangen, stolperten zu dem Kahn. Eile tat not. Ein Blick über die Schulter zeigte mir, daß der berittene Hauptmann seine Tak-tik gefunden hatte. Die Hellebardiere trieben einen Keil in den Zigeu-neraufzug, bildeten mit gegen die bunte Schar gerichteten Waffen eine Gasse, die den Bogenschützen und Arkebusieren das Vorrücken er-möglichte. Schon ließ der Offizier seine Soldaten in Stellung gehen, legten die Schützen ihre Bogen an und pflanzten die Hakenbüchsen auf die hölzernen Dreibeine.

    Die Zigeuner hoben uns in das halb auf den Uferkies gezogene Boot, das unter unserem plötzlichen Gewicht knarrte und ächzte. Eine eiserne Pfeilspitze bohrte sich in das Holz der Außenwand und blieb zitternd stecken. Weitere Pfeile schlugen auf den Kies oder ins Wasser.
    Dann hatten auch die Arkebusiere ihre Waffen gezündet, und unter dem Donner der Explosionen ging ein Hagel aus heißem Blei auf uns nieder. Wir warfen uns flach ins Boot und zogen die Köpfe ein, bis die Seine auch das letzte Geschoß verschluckt hatte. Hätte auch nur eine Kugel das Boot getroffen, unsere Flucht wäre zu Ende gewesen.
    Nur der Zigeunerherzog und Tommaso standen noch draußen, um Toison an Bord zu helfen. Leonardo griff nach den Händen des Verwundeten und wollte ihn über die Reling ziehen. Das Krachen einer verspätet gezündeten Arkebuse ließ uns zusammenzucken. Unwillkürlich verbarg ich das Gesicht in meinen Armen. Als ich wieder auf-schaute, fehlte Toisons halber Kopf. Seine kraftlosen Hände lösten sich aus denen Leonardos, und er schlug

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