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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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wissen, Raj, wenn sie die Augen öffnet.« Schari sammelte ihre Wundermittel ein und hängte sie wieder an den Gürtel. Bevor sie die Schenke verließ, warf sie einen letzten Blick auf ihre Patien-tin. »Lasst sie hier liegen, bis die Entscheidung gefallen ist. Sie braucht viel Ruhe.«
    Clopin ließ seine Peitsche knallen. »Ihr habt’s gehört, Schluß mit Saufen! Verdient lieber ein paar Groschen. Geht in die Straßen, versteckt eure Arme und Beine, werdet blind und taub und möglichst reich!«
    Nur widerwillig stiegen die Bettler aus dem schummrigen Keller ans Tageslicht. Der nahe Wein war ihnen lieber als die ungewisse Aussicht auf einen prall gefüllten Geldbeutel. Als ihr König ging, klemmte er sich einen Weinschlauch unter den Arm und zog seine rothaarige Ge-spielin mit sich.
    »Wir können nun nichts weiter für das Mädchen tun«, sagte der Zigeunerherzog und bat uns, ihm in sein Lager zu folgen. Zwei seiner Männer blieben bei der Schlafenden, von der ich mich nur schweren Herzens trennte.

Kapitel 4
    Der Verräter
    Mehrere der ein- und zweiachsigen Wagen, die zum Transport wie auch zum Schlafen dienten, waren halbkreisförmig an der alten Stadtmauer aufgefahren und trennten das Zigeunerlager vom übrigen Teil des Wunderhofs ab. Einige waren mit Planen bespannt, andere trugen hölzerne Kastenaufbauten. Beim Durchschreiten der Schanze bemerkte ich ein paar Bewaffnete, die scheinbar teilnahmslos an den Wagen lehnten und vor sich hin dösten. Ihre Augen waren wacher, als es ihre entspannte Haltung vermuten ließ. Ihre Blicke folgten jeder unserer Bewegungen und nahmen kleine Gesten des Herzogs als stumme Befehle entgegen. Villon, die beiden Italiener und ich waren keine Gefahr, also lehnten sich die Wachtposten wieder zurück, zerkauten Strohhalme und gähnten in den milden Tag.
    Mit einer Handbewegung wies Villon auf die Wächter. »Ihr scheint dem Bettlerkönig, Eurem Verbündeten, nicht recht zu trauen, Herzog.«
    »Ich trau ihm so weit wie er mir. Der Einsatz in unserem Spiel ist zu hoch, um etwas dem Zufall zu überlassen. Außerdem könnte die Scharwache darauf verfallen, die Freistatt nicht länger zu achten.«
    Ein fürchterliches Gebrüll hallte durch das Lager und ließ uns erstarren. Hinter einem bunten Zelt tauchte ein riesiges Wesen auf, das auf zwei Beinen ging und doch nach allem anderen aussah als nach einem Menschen. Ein Bär, mindestens zwei Köpfe größer als ein hochgewachsener Mann, wankte uns auf seinen im Vergleich zum übrigen mächtigen Leib recht kurzen Beinen entgegen. Ein eiserner Ring mit einer Kette hing um seinen Hals, als sei der Bär gerade aus dem Kerker der Vergessenen entsprungen. Niemand hielt die Kette fest, auch ich fühlte mich dazu nicht berufen. Wir alle wichen vor der Bestie zu-rück, die ein tiefes Brummen ausstieß und einen schweren, vierrädrigen Wagen durch ein beiläufiges Anrempeln in heftiges Schaukeln versetzte. Der Bär stand dicht vor uns und hüllte uns mit einer Wolke fauligen Atems ein. Unwillkürlich griff ich nach dem Dolch, den Leonardo mir gegeben hatte.
    Eine zwergenhafte Gestalt mit dem Körper eines Kindes und dem faltigen Gesicht eines älteren Mannes sprang wieselflink herbei, erhaschte die lose herunterhängende Kette und hängte sich mit seinem ganzen Gewicht daran. Ich erwartete einen Prankenhieb, der den Winz-ling davonfegte wie ein loses Blatt im Sturm, doch der Bär ließ sich widerstandslos auf alle viere herunterziehen und schien sich sogar angstvoll vor dem Knirps zu ducken. Der hielt dem Bären eine gehörige Standpauke in der Zigeunersprache und wandte sich, als das Tier keinen Mucks mehr wagte, an uns.
    »Verzeiht die Ungelegenheit. Der Fisch, mit dem ich Zoltan füttern wollte, war wohl ein wenig faul, da ist er wütend fortgerannt.«
    »Dann ist es dein Fehler, daß du ihn fortgelassen hast, Rudko«, erwiderte Mathias. »Gleichwohl sollte Zoltan wissen, wie er sich zu beneh-men hat. Wenn er noch einmal unsere Gäste erschreckt, mache ich aus seinem Fell einen warmen Pelz für la Esmeralda und aus seinem Fett Brennstoff für unsere Lampen!«
    »Ja, Herzog, ich werd’s ihm sagen.« Rudko zog an der Kette, und der große Bär trottete ihm willig hinterdrein.
    »Rudko versteht sich gut mit Tieren«, sagte la Esmeralda. »Er hat auch meine Ziege Djali abgerichtet.«
    Mathias führte uns zu einem großen Wagen mit bunt bemaltem Kastenaufbau, der verhältnismäßig frei in der Mitte des Zigeunerlagers stand. Ich erriet sofort, daß es

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