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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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sind schneller. Wenn ich auch gern mal einen Krug zuviel trink oder auch zwei, ich bleib doch der Fuchs, der die Hühnchen belauert.«
    »Ihr habt mein Wort, Clopin, den Staatsschatz haben wir nicht mal von fern gesehen. Das Geschäft wäre selbst für unsere vereinten Kräf-te zu mächtig. Gerade erst mußten wir erfahren, daß die Schützen des Königs nicht mit Eisen und Blei geizen.«
    Der von Mathias zum Zigeunerlager geschickte Bote kehrte mit einem Wesen zurück, das ich erst auf den zweiten Blick als Frau erkannte, so sehr war die Alte mit bunten Tüchern, mit Gold, Silber und Perlen behängt. Jeder ihrer Schritte wie auch jede Bewegung des Kopfes und der Arme wurde von einem hellen Klirren und Klingeln begleitet.
    Vor dem großen Tisch blieb sie stehen und starrte unverwandt auf Colette. »Die soll ich ins Leben zurückholen?«
    »Ja, Schari«, sagte Mathias.
    »Zu wem gehört sie?«
    Er zeigte auf Villon, die Italiener und mich. »Zu unseren Freunden.«
    Schari wandte sich uns zu. »Was gebt ihr für das junge Leben?«
    »Ihr wollt Geld?« kreischte ich. »Wie könnt Ihr jetzt feilschen, wo jeder Atemzug kostbar ist!«
    Ungerührt erwiderte die Alte: »Ihr seid es, der feilscht, mein junger Raj.«
    »Raj heißt in unserer Sprache Herr und ist ein Ausdruck der Achtung«, kam es von der Stiege, wo la Esmeralda alle Blicke auf sich zog.
    »Wenn diese Frau stirbt, stirbt auch etwas in dem jungen Gadscho, Schari. Achte seine Liebe und meinen Willen, indem du ihr hilfst!«
    Das klang wie ein Befehl, und die Alte schien es genauso aufzufassen. Sie nickte ergeben und sagte: »Bringt Tücher und Wasser, aber beides sauber!«
    Gleichzeitig nahm sie verschiedene Fläschchen, die mit kleinen Haken an ihrem Gürtel befestigt waren, und stellte sie auf eine Bank vor Colettes Tisch. Als ein paar Frauen aus der Schenke die Tücher und eine Wasserschüssel gebracht hatten, verlangte Schari, wir sollten die Verletzte auf die Seite legen. So geschah es, und die Alte brach den Pfeilschaft zwei Handbreit über Colettes blutiger Brust ab. Colette schien von all dem nichts zu bemerken, so als sei sie dem Tod näher als dem Leben.
    »Haltet das Mädchen fest!« schnarrte Schari und sah Mathias an.
    »Willst du es tun, Herzog?«
    »Einer muß es tun, wenn es getan werden soll. Will ich Leben bringen, muß ich den Tod ansehen.«
    Mit diesen feierlichen Worten trat Mathias zu Colette, die auf der rechten Seite lag und von mir und den Italienern festgehalten wurde.
    Mathias zog ein Beil aus seinem Gürtel und schlug, nach kaum merk-lichem Zögern, mit dem stumpfen Ende der Klinge zu. Er traf das ab-gebrochene Schaftende und trieb den Pfeil so weit durch den Leib, daß hinten die blutige Spitze ein gutes Stück herausragte.
    »Schnell, Gadscho, zieht mit einem Ruck!«
    Das war la Esmeralda, und ich wußte, daß sie mich meinte. Ich griff mir eins der Tücher, wickelte einen Zipfel um die Eisenspitze und zog mit aller Kraft. Das brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich ging rücklings zu Boden und schlug schmerzhaft mit dem Hinterkopf gegen eine Holzbank. Ein paar Bettler kicherten. Es störte mich nicht, in der Hand hielt ich den verhängnisvollen Pfeil!
    Als ich mich erhob, hatte sich Schari in einen tanzenden Derwisch verwandelt. Ihre Hände flogen hin und her, während sie Öle und Sal-ben aus ihren Flaschen und Dosen auf Colettes Wunden strich und in einem leiernden Singsang Beschwörungen murmelte, die, falls überhaupt jemand, nur ein Zigeuner verstehen konnte. Endlich hielt sie erschöpft inne und befahl, Colette einen festen Verband anzulegen. La Esmeralda trat heran und übernahm das. Sie zog die Stoffbahnen so stramm, daß ich fürchtete, sie würde Colette die Rippen brechen oder ihr die Luft zum Atmen abdrücken.
    Die junge Zigeunerin hatte meinen angstvollen Blick bemerkt. »Ich weiß, was ich tu, Gadscho. Schon mehrmals habe ich meinen Vater verbunden, und er lebt noch, wie Ihr seht.«
    Als sie und Schari fertig waren, gab Colette noch immer kein Le-benszeichen von sich. Nur wenn ich ganz genau hinsah, entdeckte ich das leichte Heben und Senken ihrer zarten Brust und das feine Zittern ihrer Nasenflügel.
    »Sie schläft den Schlaf, in dem sie über den Berg der Entscheidung wandert«, sagte Schari. »Steigt sie zur einen Seite hinab, führt der Weg sie ins Reich der Toten. Auf der anderen aber wird sie das Leben finden.«
    »Wann …«, krächzte ich und brachte es nicht fertig, die Frage zu beenden.
    »Ihr werdet es

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