Im Schatten von Notre Dame
Leben mit einem einarmigen Gemahl dem Witwenstand vorziehen. Unterhalb deiner Hüften ist doch noch alles dran. Aber überhaupt, wo steckt deine Familie, he?«
»Ich sagte doch schon, daß ich es nicht weiß. Charlotte hat Paris mit den Kindern verlassen. Mehr kann ich nicht sagen.«
»Kannst du nicht, oder willst du nicht?«
Manchot schwieg mit zusammengepressten Lippen. Ich betrachtete seinen zerschundenen Leib, der nur mit einem weißen Hemd bekleidet und von der Folter gezeichnet war. Die Füße waren vom spanischen Stiefel zu unförmigen Fleischklumpen zerquetscht, und die Daumen-schrauben hatten seinen Daumen ähnliches angetan. An den Schenkeln klafften blutige Wunden, wo eiserne Zangen Fleischstücke herausgerissen hatten.
Achselzuckend wandte Falcone sich ab und zog mich zurück zur Tribüne, während Michel Noiret das Urteil verlas: »Nicolas Manchot, vormals Gehilfe in der Buchdruckerwerkstatt des Maître Gaspard Glaire und nun Tagelöhner, ist folgender Vergehen angeklagt und für schuldig befunden worden: primo der Unterstützung einer gefährlichen Bande von Falschmünzern; secundo des heimtückischen und gemeinen Mordes an der ehrwürdigen Schwester Victoire vom Orden der Augustinerinnen; tertio des Verübens derselben Tat an Maître Odon, Mesner in unserer Kathedrale Notre-Dame. Zur Abschreckung aller Falschmünzer, die eine Gefahr für den Staatsschatz und damit für unseren guten König Ludwig darstellen, soll der Verurteilte zur Mittagszeit auf dem Schweinemarkt in kochendes Öl getaucht werden, bis langsam der Tod eingetreten ist. Danach wird er am Galgen aufgehängt, wo sein Leichnam so lange verbleibt, bis er verrottet ist. So erwogen und beschlossen am einundzwanzigsten April Anno Domini 1483 im Gerichtshof des Grand-Châtelet vom ehrwürdigen Herrn Jacques d’Estouteville, königlicher Profos der Stadt Paris.«
Manchot stieg unbeholfen auf ein Holzgerüst mit einer Plattform in drei Klafter Höhe, die halb über den Kessel ragte. Maître Torterue und seine Folterknechte zogen, begleitet von einem Trommelwirbel, ein kräftiges Seil, das an der Winde befestigt war, unter den Achseln des Verurteilten hindurch. Willenlos ließ Manchot es geschehen. Gab der Foltermeister ihm einen Befehl, gehorchte er sofort und stolperte auf seinen blutigen Fußstummeln ein, zwei Schritte vor oder zur Seite.Ich wandte mich Falcone zu und sagte mit deutlichem Abscheu: »Ihr habt ihn foltern lassen, um sein Geständnis zu erzwingen?«
»O nein, ich habe Nicolas foltern lassen, damit er sein Geständnis widerruft, leider vergebens.«
»Damit er widerruft?« krächzte ich ungläubig. »Aber warum?«
»Weil ich ihn für unschuldig halte. Wie Ihr schon sagtet, ein Einarmiger, noch dazu ein Säufer, ist kaum der richtige Mann für die Arbeit des Schnitters.«
»Ihr haltet ihn für unschuldig und seht gleichwohl zu, wie er grausam getötet wird?«
»Ihr habt’s doch gehört, unser Profos hat ihn verurteilt. Ich hätte Nicolas nicht mal vor dem Öl retten dürfen, wenn er jetzt widerrufen hätte, und doch, der Herr ist mein Zeuge, ich hätt’s getan! Aber zu spät, er läßt sich lieber verbrühen.«
Es war tatsächlich zu spät. Langsam, von Torterues Anweisungen geleitet, bedienten die Folterknechte die Winde und senkten den über dem dampfenden Kessel Hängenden tiefer und tiefer. Zuvor hatte man das Büßerhemd zerschnitten und ihm vom Leib gezogen. Jede Handbreit seiner gequälten Haut sollte zu sehen sein. Von einem Aufschrei der Menge begleitet, tauchten die Füße in das brodelnde Öl, dann die Unterschenkel, die Knie. Es war unheimlich, denn Nicolas Manchot brachte keinen Ton der Klage hervor.
»Er spürt keine Schmerzen!« sagte ich fassungslos, als der angebliche Schnitter von Notre-Dame bis zu den Oberschenkeln im Öl steckte.
»Er will sie nicht spüren«, berichtigte mich Falcone. »Aber lange hält er das nicht mehr aus.«
Auf Torterues Befehl drehte man die Winde in die andere Richtung und zog den tapferen Nicolas wieder hoch. Seine Beine waren krebs-rot und mußten höllisch schmerzen. Aber er schwieg, als seien seine Lippen zusammengenäht. Ein Folterknecht übergoss die Beine mit einem Eimer kalten Wassers, das er aus einem niedrigen Trog auf der Plattform schöpfte. Die Abkühlung sollte eine rasche Ohnmacht und einen ebenso raschen Tod verhindern, sollte die Qual und das Schauspiel verlängern.
Die Bürgerinnen, die ich zuvor bemerkt hatte, drängten sich näher an den Kessel heran,
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