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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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gerieten dabei in Streit und wären sich gegenseitig an die Kehle gegangen, hätte das Geschehen auf der Richtstät-te nicht das größere Vergnügen versprochen. Sie rückten ihre Hüte zurecht und starrten gierig auf den erneut in den Kessel eintauchenden Manchot.
    Diesmal wurde er bis zur Brust hinabgelassen. Er begann zu wimmern, dann schrie er wie am Spieß des Leibhaftigen. Erst als man ihn auf der Plattform erneut mit Wasser übergoss, ging das Schreien in ein leiseres Jammern über. Es schien gegen seinen Willen über seine Lippen zu kommen, er hatte sich nicht mehr in der Gewalt.
    Beim dritten Eintauchen verschwand er bis zu den Schultern in der dampfenden, Blasen werfenden Brühe. Und wieder schrie er, übertön-te die erregten Laute der Menge, den jedes neuerliche Hinablaßen begleitenden Trommelschlag und das Quieken der Schweine, die in einiger Entfernung feilgeboten wurden, ohne daß jemand ihrer achtete, weil aller Augen an der Richtstätte hingen. Auch die meinen. Ich war entsetzt, angewidert und konnte mich doch, wie schon bei Quasimodos Bestrafung, dem grausigen Spektakel nicht entziehen. Wäre dieser Manchot wirklich der Schnitter gewesen, hätte er die Strafe zweifelsohne verdient. Aber ein Unschuldiger?
    Ein erschreckender Gedanke nistete sich in mir ein, gleich einem Raubvogel, dessen scharfe Krallen nicht mehr loslassen: War vielleicht der einzige Grund, weshalb ich den Blick nicht von Nicolas Manchot wenden konnte, der, daß mir das Schauspiel gefiel? Ergötzte mich die Qual des Einarmigen? War der Abscheu, den ich zu empfinden glaubte, nur eine Ausflucht, ein Schutzwall, den ich vor meinem tiefsten Innern errichtet hatte?
    Wenn es so war, hatten die Katharer recht. Dann war der Mensch schlecht, war er Sünde durch und durch. Vom Fleisch bis auf die Knochen, ja selbst bis in die Seele hinein, war er vom Bösen durchdrungen.
    Und dann war es gut, die Menschheit von sich selbst zu befreien. Waren es gar die Dragowiten, die sich im Recht befanden? Bekämpfte ich, indem ich mich gegen Dom Frollo wandte, den Mann, der das Richtige wollte?
    Torterues Stimme durchschnitt die Schreie des Leidenden und das dunkle Gespinst meiner Gedanken. Die beiden Folterknechte drehten an der Winde, zogen den zu einer blasigen roten Fleischmasse Verbrühten hoch und übergossen ihn abermals mit kaltem Wasser. Dann packten sie erneut die hölzernen Griffe der Kurbel, senkten sie Manchot Stück für Stück dem Siedekessel entgegen.
    Der höllische Schmerz hatte alle Gefasstheit vertrieben. Manchot schrie und strampelte, als könne er dadurch sein Leben retten.
    Die Winde quietschte, als er über dem Kessel hin und her schaukelte. Auf Torterues Befehl hörten seine Knechte mit dem Kurbeln auf.
    Zu spät …

    Was bei einem Unversehrten ein fruchtloses Bemühen gewesen wäre, gelang Manchot aufgrund seiner Verstümmelung. Das Seil rutschte über den Stumpf der rechten Schulter, so daß er nur noch mit der linken Seite reichlich schief am Seil hing und einen halben Klafter nach unten sackte. Erschrocken zogen die Folterknechte ihn ruckartig ein Stock nach oben. Zu ruckartig! Manchot drehte sich um die eigene Achse, schaukelte noch stärker als zuvor und rutschte auch aus der zweiten Schlinge. Er stürzte nach unten, in den Kessel.
    Kochendes Öl spritzte nach allen Seiten, als es über dem Mann zu-sammenschlug. Die Schaulustigen ganz vorn am Kessel schrien auf, als das Öl ihre Haut verbrühte. Sie drängten nach hinten, erfolglos, so dicht standen die Menschen, und die in den hinteren Reihen schoben sich aufgrund der unerwarteten Wendung noch weiter vor, wollten genau sehen, was im Kessel mit Manchot geschah. Eine der Bürgerinnen, eine junge hübsche Frau, verlor ihren Hut, krümmte sich und schlug die Hände vors Gesicht. Als sie unter lautem Gewimmer endlich die Hände wieder wegnahm, waren ihre glatten Wangen zu einer blasigen Schwarte verbrüht. Sie mußte einen halben Eimer Öl abbe-kommen haben.
    Derweil führten Torterue und seine Männer auf der Plattform ein groteskes Stück auf. Mit geballten Fäusten sprang der Foltermeister auf und ab, daß man befürchten mußte, er würde durch die Planken brechen und wie Manchot in den Kessel fallen. Seine Stimme überschlug sich fast, während er die Knechte mit allen Schimpfwörter überschüttete, die in den Gassen von Paris jemals erklungen sind. Die armen Gesellen mühten sich mit zwei langen Hakenstangen ab, wie sie die Fluss-Schiffer benutzen, um ihre Kähne ans

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