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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Atalante, Tommaso – und König Ludwig.
    Daß der König den Anschlag überlebt hatte, war ein kleines Wunder.
    Daß von seinem schönen roten Rock wenig übrig geblieben war und die zerrupften Straußenfedern nur noch traurige Überreste des gro-
    ßen Hutes schmückten, verwunderte mich dagegen kaum. Die Fetzen des Prunkgewands waren mit Brandspuren übersät, und schmutziges Schwarz hatte sich auch in das Gesicht gebrannt. Das erkannte ich, als Ludwig den Kopf hob und uns ansah.
    Ich erkannte noch mehr und rief: »Aber … Ihr seid gar nicht Ludwig!«
    Der Mann war viel jünger als der König, etwa in Durwards Alter.
    Schwarzes Haar quoll unter dem Hutrest hervor. Was dem Antlitz einige Ähnlichkeit mit dem des Königs verlieh, war die vorspringende, gebogene Nase, ein wahrer Gesichtserker. Die Stirn wölbte sich nicht so weit über die Augen wie die des Königs. Aber wie Ludwig erweckte auch der Mann in Rot einen kraftvollen, befehlsgewohnten Eindruck.
    »Ihr habt mich durchschaut, Monsieur.« Der Rote schenkte mir ein dünnes Lächeln. »Wäre ich Ludwig, säße niemand an dieser Stelle. Der von Euch verursachte Aufruhr hatte mir ermöglicht, mich durch einen schnellen Sprung zu retten. Bei allen Fähigkeiten, über die mein guter König Ludwig verfügt, die Schnelligkeit eines fliehenden Rehs gehört schon aus Altersgründen nicht dazu.«

    »Ja, Ihr hattet Glück«, bestätigte Villon. »Weitaus mehr als der Bürgermeister und seine Tochter.«
    Ich nickte. »Ich sah noch, wie sie starben, bevor die Menge mich weg-schwemmte.«
    »Oh, der Bürgermeister lebt«, sagte der Mann in Rot. »Aber die Teu-felsgeschosse haben ihm die Beine weggerissen. Mein Dank gebührt Euch, Maître Sauveur, Ihr habt Eurem Namen Ehre erwiesen. Wie kann ich Euch dienen?«
    »Vielleicht mit Eurem Namen und einer Erklärung, weshalb Ihr Euch für den König ausgebt«, erwiderte ich mißmutig. Ich war verstimmt, denn einmal mehr schienen alle außer mir – und wohl Colette – zu wissen, was gespielt wurde.
    »Mein Name, natürlich. Ich bin Philippe de Commynes, der Seneschall von Poitou.«
    »Der Vaterlandsver …« rief ich aus und unterbrach mich nach einem mahnenden Wink Villons.
    »So hat man mich verschiedentlich genannt«, sagte der Rote, ohne im mindesten beleidigt zu wirken. »Aber es gibt viele Gründe, die Seiten zu wechseln, schlechte und gute, ehrlose und ehrenhafte. Ich tat es, weil mir ein Einfluß der Reinen auf König Ludwig Erfolg verspre-chender erschien als ein weiterer Dienst bei Karl dem Kühnen. Die Geschichte hat das bestätigt.«
    »Die Reinen?« Mein forschender Blick wanderte zwischen dem Seneschall und Villon hin und her.
    »Bruder Philippe ist einer der Unseren«, erklärte mein Vater. »Bis zu dieser Nacht wußte ich es nicht.«
    »Vielleicht sollten die Reinen die Verbindungen zwischen ihren einzelnen Gemeinden ausbauen«, schnaubte ich.
    »Damit man uns noch leichter aufspüren und ausrotten kann?« versetzte Leonardo.
    Ich erkannte meine Dummheit und wandte mich verlegen an den Schotten. »Seid Ihr etwa auch …«
    Durward wiegte den Kopf. »Ich bin ein Mann des Krieges und der Jagd, nicht des Glaubens. Sagen wir, meine Sympathien liegen auf der Seite des Seneschalls und des Königs, nicht bei dem Mordgesindel.« Er berichtete von der blutigen Begegnung im Wald und fügte hinzu: »Ich kenne die Kerle nicht. Vermutlich haben sich die Dragowiten auswärtiges Gesindel geholt, vielleicht Ecorcheurs.«
    Colette drängte sich vor und sah Commynes flehend an. »Monsieur Messire, wisst Ihr etwas über meinen Vater, Marc Cenaine?«
    Er schüttelte den Kopf, und mit einem Seufzer der Entmutigung sank Colette auf eine Bank. Sie verbarg das Gesicht in beiden Händen, aber sie weinte auch jetzt nicht.
    Wie gern hätte ich sie getröstet, aber ich wußte keinen Trost. Und es gab drängende Fragen zu klären. »Ihr habt, wie es scheint, mit dem Anschlag gerechnet«, sagte ich zu Commynes und Durward. »Aber wie konnte es Euch, Seneschall, gelingen, an Ludwigs Stelle zu treten?«
    »Ganz einfach, ich kam mit seiner Billigung. Denn ich bin sein Bruder.«
    »Wie?«
    »Nicht sein leiblicher Bruder, aber ein Bruder im Geiste und in der Seele. Ich bin Ludwigs Mignon. Wisst Ihr, was das bedeutet?«
    »Sein Vertrauter.«
    »Mehr als das. Ich weiß, wie der König denkt, spricht, sich bewegt, sich verhält. Als Ludwig vor zwei Jahren so krank darniederlag, daß er zeitweilig die Sprache verlor, teilte ich das Bett mit ihm, war

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