Im Schatten von Notre Dame
als Feuerwerker erfolgreicher waren als mit ihrem eigentlichen Vorhaben.«
»Ich will wissen, wer sie waren und wer sie geschickt hat«, knurrte Tristan l’Hermite.
»Leider sind sie entkommen«, sagte Commynes, die drei toten Meuchler mit keinem Wort erwähnend.
»Und Ihr habt keinen Hinweis, Seneschall?« forschte der Generalprofos nach.
»Leider nicht«, erwiderte Commynes.
Tristan hob den Blick; seine Augen brannten, wollten den Seneschall bis auf den tiefsten Grund durchleuchten. »Wie konntet Ihr überhaupt mit einem Anschlag rechnen? Was veranlasste Euch, in das Gewand des Königs zu schlüpfen? Ihr müßt doch einen Hinweis gehabt haben!«
»Keinen Hinweis, nur Gerüchte. Meine Späher haben mir Flüchtig-keiten berichtet, nichtige Winzigkeiten, nimmt man jede für sich, aber ich tat, was meine Aufgabe ist, und versuchte, alles miteinander in Verbindung zu bringen. Heraus kam die Erkenntnis, daß unser König, wenn er an der Maifeier teilnähme, sein kostbares Leben aufs Spiel setzen würde.«
»Was nützt uns diese Erkenntnis, wenn wir den Feind nicht kennen?« fragte Tristan mit einer Mischung aus Trotz und Argwohn.
»Immerhin lebt König Ludwig«, bemerkte Commynes süffisant. »Ist das nichts?«
»Ich bin recht froh darüber«, sagte Ludwig mit einem verschlagenen Lächeln. »Mutmaßen wir also nicht länger über die geheimnisvollen Attentäter, freuen wir uns lieber über den guten Ausgang des Abenteuers!«
Er hob den bronzenen Weinkelch, und alle taten es ihm nach. Für einen Mann, der noch wenige Stunden zuvor ermordet werden sollte, schien er mir sehr guter Laune zu sein. Fühlte sich die Große Spinne in ihrem Nest so sicher?
»Nun, Maître Sauveur, habt Ihr den Großmeister erkannt?« fragte Philippe de Commynes hoffnungsvoll, als wir uns um Mitternacht wieder in der Kapelle des heiligen Hubertus trafen. Nach dem königlichen Mittagsmahl hatte ich das Schloß auf demselben Weg verlassen, auf dem ich hineingelangt war: mit den nun leeren Frachtwagen.
Ich konnte dem Seneschall nur antworten, was ich schon Villon und den anderen gesagt hatte: »Als ich den Großmeister sah, war er vermummt und maskiert. Seine Stimme wurde durch die Maske ge-dämpft. Es tut mir leid, aber wenn der Großmeister zum Kreis der kö-
niglichen Ratgeber gehört, kann er jeder der vier Männer sein.«
Erstaunt hob Commynes die Brauen. »Der vier?«
»Die Maske, die er bei der Zusammenkunft der Neun trug, hätte jeden verbergen können, auch Euch, Messire.«
»Dann hätte ich Euch wohl kaum ins Schloß und wieder hinaus schmuggeln lassen.«
»Es sei denn, Ihr wolltet Euch von jeglichem Verdacht reinwa-schen.«
Seine Stirn umwölkte sich. »Ihr seid sehr mißtrauisch, junger Freund.
Von wem habt Ihr das?«
Kurz streifte mein Blick Villon, dann sah ich wieder den Seneschall an und sagte: »Vielleicht von meinem Vater.«
SIEBTES BUCH
Kapitel 1
Büßen und sterben
Ich stand auf der Galerie zwischen den Türmen der Kathedrale, blickte hinunter auf die Stadt und wartete auf den Tod, der Notre-Dame zur Mittagsstunde erreichen würde …
Mein eigener Vater hatte mich nach Notre-Dame zurückgesandt, in die größte Gefahr. Mochte für ihn der Tod als Erlösung gelten, ich teilte seinen Glauben nicht. Doch da die Geschehnisse in Plessis-les-Tours nicht die erhoffte Aufklärung gebracht hatten, bedurfte Villon meiner Augen und Ohren in der Kathedrale, in Dom Frollos unmittelbarer Nähe. Und wohl auch in der des Sonnensteins. Oder wie Villon es ausdrückte: »Mit jedem Tag rückt die Ananke näher, und vielleicht steht nur noch Ihr, mein Sohn Armand, zwischen der Menschheit und ihrem Verhängnis.«
Also war ich, abgerissen und angeblich ausgeraubt, vor den Archidiakon getreten und hatte ihm eine wilde Geschichte erzählt von Stra-
ßenräubern, die mich überfallen und entführt hätten. Während sie noch überlegt hätten, ob sie mich töten oder als Sklaven an die Sara-zenen verkaufen sollten, sei mir nach mehreren Tagen Gefangenschaft die Flucht gelungen. Soweit das Abenteuer, das Villon und ich uns aus-gedacht hatten. Was ich kaum zu hoffen gewagt hatte, geschah: Frollo schien mir nicht nur zu glauben, er ersetzte mir sogar das ›geraubte‹
Geld. Glaubte er mir tatsächlich, oder ahnte er die Wahrheit und wollte mich in seiner Nähe haben, um mich zu beobachten?
Drei Wochen waren seit unserer Rückkehr nach Paris vergangen.
Drei ereignislose, drei qualvolle Wochen für mich, und eine schlimme Zeit
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