Im Schatten von Notre Dame
gezwitschert, würde es jetzt nicht gevögelt«, kicherte der Bewaffnete. »Oder magst du uns ein Liedchen singen?«
Der Mann mit dem entblößten Hintern wandte den Kopf, schob die Teufelsfratze hoch und enthüllte ein kaum ansehnlicheres Gesicht.
»Der Tölpel kann immer noch singen, Landry. Jetzt wollen wir unseren Spaß haben!«
Damit wandte er sich wieder Colette zu, die von den drei anderen festgehalten wurde.
»Hast recht, Ogier«, brummte der Schnauzbart. »Nach der Arbeit soll das Vergnügen zu seinem Recht …«
Der Rest ging in einem dumpfen Stöhnen unter, als mein vorschnel-lender Fuß sein rechtes Schienbein traf. Den Tritt hatte ich oft angewandt, wenn die jungen Burschen von Sablé in großer Übermacht über mich herfielen. Auch jetzt zeigte er Wirkung, der stechende Schmerz lenkte Landry ab. Ich kam erneut auf die Beine und packte mit beiden Händen seinen Waffenarm. Er wollte den Dolch gegen mich führen und sich losreißen. Für einen Augenblick tat ich, als gäbe ich nach, doch ich wiegte ihn in falscher Sicherheit, um dann hart zuzustoßen.
Ich rammte Landry die eigene Klinge in die Brust. Keuchend brach er zusammen und spuckte Blut.
Die anderen vier ließen von Colette ab, um sich auf mich zu stürzen.
Ogier hatte seine Hose ganz vergessen, die ihn nun zu Fall brachte. Ich zog meinen eigenen Dolch und wußte doch, daß ich gegen drei Gegner unterliegen würde.
»Lauf weg, Colette! Fliiieeeh!«
Mit diesem Schrei auf den Lippen warf ich mich auf den ersten Feind, der seine Klinge mit meiner kreuzte. Ich vermochte mich nicht von ihm zu lösen, ohne seine Waffe freizugeben. So aber konnten die beiden anderen Mordgesellen ungehindert auf mich eindringen.
Schon fuhr die Klinge eines sommersprossigen Gegners auf mich zu, da sirrte aus der Dunkelheit, aus dem Nichts, ein Pfeil heran und bohrte sich geradewegs in sein Herz. Mit ungläubigem Gesichtsaus-druck vollführte der Getroffene eine ungelenke Drehung, bevor er neben seinem Kumpan Landry niedersank.
Der letzte Maskierte riß sein mit grellen Farben bemaltes Pappge-sicht herunter und blickte sich nach allen Seiten um, suchte den unsichtbaren Schützen. Bis ihn ein Pfeil in den Hals traf und jeder Suche enthob.
Ogier, der seine Hose inzwischen hochgezogen hatte, und mein Gegner hatten genug. Wie gehetztes Wild flohen sie in die Dunkelheit. Ich stellte fest, daß die Pfeile ein blaues Gefieder trugen. Es überraschte mich nicht.
In Colettes starre Augen kehrte das Leben zurück. Sie löste sich von der Ulme, und ich fing sie auf. Ihr Rücken war von der Baumrinde zer-kratzt. Ich hatte erwartet, daß ihre Furcht und ihre Anspannung sich in einem Weinkrampf lösen würden, doch ich hatte mich getäuscht.
Sie lag einfach nur in meinen Armen und atmete schwer. Über ihre Schulter hinweg sah ich den Bogenschützen aus dem Wald treten.
Der große, stattliche Mann hatte die Dreißig überschritten, aber die Vierzig noch nicht erreicht. Er bewegte sich mit der Gewandtheit eines Jünglings und zugleich mit der Gelassenheit des gereiften Mannes.
Ein sorgsam gestutzter Bart umrahmte sein Gesicht, aus dem die blauen Augen selbst in der Dunkelheit leuchteten. Er trug das Lederwams eines Jägers und Hosen von flämischem Schnitt. Halbstiefel aus weichem Hirschleder vervol ständigten die waidmännische Ausstattung. Auf dem Rücken hing ein lederner Pfeilköcher, an einem Schulterriemen ein gro-
ßes Jagdmesser. In der Linken hielt er lässig einen großen Bogen, dessen sichere Handhabung ebensoviel Kraft wie Geschick erfordern mußte. Er trat zu den gefäl ten Attentätern und sah auf sie hinab.
»Meine Jagd war erfolgreich, gerade noch rechtzeitig«, sagte er mit einer angenehmen Stimme und deutlich fremdländischem Zungenschlag. »Ein gefährliches Wild, aber jetzt ist es erlegt.« Er hatte sich über die drei Männer gebeugt und sich von ihrem Ableben überzeugt.
»Ich danke Euch, Fremder«, sagte ich. »Schon zum zweiten Mal habt Ihr mir das Leben gerettet.«
»Das ist wahr«, erwiderte er. »Ihr habt einen guten Schutzengel, Maître Sauveur.«
»Einen Schutzengel aus dem fernen England, wie mir scheint.«
Empörung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Monsieur, wollt Ihr mich, Euren Retter, zu Tode beleidigen?«
»Verzeiht. Also kommt Ihr aus Schottland?«
»Selbstverständlich!« Er warf sich in die Brust. »Glaubt Ihr, ein Engländer könne solch einen Bogen handhaben?« Er zeigte mir die mit allerhand Schnitzereien verzierte
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