Im Schatten von Notre Dame
hin traten Pikeniere vor und durchsuchten die Wagenkästen, um sicherzugehen, daß sich zwischen den Körben und Säcken mit Zitronen, süßen Apfelsinen, Muskatellerbirnen, Pfirsi-chen, Wassermelonen und Pastinaken keine Eindringlinge verbargen.
Währenddessen hieß der Wachhabende uns absteigen, und die schottischen Gardisten tasteten uns nach Waffen ab.
Endlich der ersehnte Befehl des Wachhabenden: Wir durften wieder auf die Wagen klettern, und das Tor wurde geöffnet. Über weitere Zugbrücken und durch weitere Tore gelangten wir in den Schlosshof, wo sich die drehbaren Eisentürme bedrohlich über unseren Köpfe erhoben. Ich mußte mich regelrecht überwinden, vom Bock zu steigen und beim Entladen der Wagen zu helfen. Der Gedanke, daß die Schützen in den Eisentürmen jede meiner Bewegungen argwöhnisch beobachte-ten, drohte mich gänzlich zu lähmen. Wer mich darob für einen Feigling hält, ist nie im Nest der Großen Spinne gewesen.
Ich schleppte einen Sack Pastinaken in einen Speicherraum, als plötzlich Quentin Durward in der brokatglitzernden Kleidung eines Höflings vor mir stand. »Kommt mit, Maître Sauveur. Die Unterredung des geheimen Kronrats beginnt gleich.«
So sicher, wie er Colette und mich gestern durch den Wald geleitet hatte, führte er mich jetzt durch versteckte Gänge des Schlosses auf eine kleine Galerie, hinter deren hölzerner Brüstung wir uns nieder-kauerten. Durch die Ritzen in der Brüstung konnten wir den Raum unterhalb der Empore überblicken. Er war klein und schmucklos, gar nicht so, wie ich mir einen Saal im Schloß des Königs ausgemalt hatte. Der einzige Gegenstand, der wenigstens andeutungsweise königlich aussah, war ein mit kunstvollen Schnitzereien verzierter, beweglicher Schanktisch, der mit golden und silbern glänzenden Gefäßen beladen war. Er stand neben einem schlichten größeren Tisch, der für fünf Personen gedeckt war. Weiterhin fiel mir auf, daß der Raum über kein einziges Fenster verfügte. Draußen schien hell die Sonne, hier drinnen sorgte nur Lampenschein für Licht.
Einer nach dem anderen betraten fünf Männer den Raum und setzten sich an den Tisch. Dreien war ich bereits begegnet: Philippe de Commynes, Maître Jacques Coictier und Gevatter Tourangeau – der König. Er war ebenso einfach gekleidet wie bei seinem Besuch in Notre-Dame; nichts verriet seine königliche Würde. Die beiden anderen mußten Olivier le Daim und Tristan l’Hermite sein.
Letzterem glaubte ich das Handwerk des Henkers anzusehen. Sein starker Körperbau wirkte um so roher, als er nur von mittlerer Größe war.
Sein Blick war so forschend, so durchdringend, wie Vil on es beschrieben hatte. Nur wurde man dessen selten gewahr, weil der Profos bevorzugt nach unten sah, als befürchte er, seine Augen könnten die vorwurfsvol en Blicke der vielen Unglücklichen auffangen, denen auf seine Weisung der Kopf abgeschlagen oder das Genick gebrochen worden war.
Der Anblick des Barbiers war dagegen eine reine Freude, und ich konnte mir nicht vorstellen, warum ausgerechnet er ›le Diable‹ genannt wurde. Er war fast so groß und stattlich wie Durward, und ein gewinnendes Lächeln lag auf seinen ebenmäßigen Zügen.
Kein Page wartete auf, die hohen Herren bedienten sich selbst mit Wein, Hühnchenkeulen und Pasteten. Die Sitzung mußte wirklich geheim sein. Was wohl mit uns geschah, sollte man uns entdecken? Der sich unser dann annehmen würde, so vermutete ich, saß am Tisch des Königs und hieß Tristan l’Hermite.
Commynes ergriff das Wort und berichtete ausführlich über den Anschlag, das Treffen in der Hubertuskapelle ließ er dagegen unerwähnt.
Empört schlug Maître Coictier auf den Tisch und starrte den König an. »Sire, wenn Ihr ein Attentat vermutet habt, warum teilt Ihr es uns erst heute mit?«
Ludwig bedachte seinen Leibarzt mit einem kalten Lächeln. »Es hat genügt, daß ich meinen Mignon einweihte. Ist es Euch etwa nicht recht, daß er sich an meiner Stelle der Gefahr aussetzte, Freund Jacques? Als mein Arzt solltet Ihr erfreut sein, daß Philippe statt meiner die Blessuren davongetragen hat.«
»Bin ich ja, bin ich ja«, sagte Coictier rasch. »Nur meine ich, daß Ihr Eure Ratgeber vor einer wichtigen Unternehmung hinzuziehen solltet und nicht erst danach, Majestät.«
Maître Olivier versuchte, mit seinem warmherzigen Lächeln Frieden zu stiften. »Dies ist ein Streit über vergossene Milch. Seien wir lieber froh, daß die Attentäter mit ihren Künsten
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