Im Schatten von Notre Dame
schwere Waffe.
Ich zuckte mit den Schultern. »Mit Schreibfedern kenne ich mich besser aus.«
»Mit dem Dolch seid Ihr auch nicht ungeschickt.«
»Ich würde mich für das Kompliment gern bedanken, wenn ich wüsste, bei wem.«
»Oh, wie nachlässig von mir.« Der Bogenschütze verneigte sich. »Ich bin Quentin Durward aus Glen-Houlakin und entstamme dem Geschlecht des Allan Durward, der einst Großsteward von Schottland war. Wenn Euch aber ein bestehender flämischer Titel mehr sagt als ein vergangener schottischer, könnt Ihr gern in mir auch den Grafen von Croye sehen.«
Ich starrte ihn an und schwieg, was an meiner Verwirrung lag. Einen schottischen Edelmann im Wams eines einfachen Jägers zu sehen mochte noch angehen. Daß sie bettelbitterarm sind, ist man schließlich von den Schotten gewöhnt. Aber ein flämischer Graf in diesem Aufzug, mochte er auch schottischer Abstammung sein? Und was hatte ihn angehalten, im Wald von Plessis Jagd auf Königsmörder zu machen?
»Euer Gesicht kündet von mehr Fragen, als Ihr an einem Abend über die Lippen bringen könntet, Maître Sauveur. Begleitet mich, und Ihr werdet die Antworten finden.«
»Wohin?«
»Zur Kapelle des heiligen Hubertus.«
»Des Jagdheiligen?«
Der Schotte beugte sich über die gefällten Männer und nahm seine Pfeile wieder an sich, nachdem er das Blut an der Kleidung der Toten abgewischt hatte. »Meint Ihr nicht, daß es eine passende Zuflucht für uns ist?«
Ich mußte lächeln und gab ihm recht. Colette brachte ihr zerfetztes Kleid notdürftig in Ordnung, so daß es wenigstens die Blößen bedeckte, dann folgten wir dem seltsamen Grafen tiefer in den Wald hinein.
Zielsicher schritt er durch die Finsternis.
»Habt Ihr keine Angst vor den Fallen des Königs?« fragte ich.
»Ich kenne mich hier aus, noch aus früheren Zeiten. Und Ihr, Armand, habt Ihr keine Angst vor mir?«
»Wenn Ihr mich töten wolltet, hättet Ihr Euch nicht zweimal die Mühe gemacht, mein Leben zu erhalten.«
Er lachte kurz auf und setzte dann schweigend seinen Weg fort. Trotz meiner zuversichtlichen Worte fragte ich mich, ob er ein Mensch war oder ein Spuk, Teil der Wilden Jagd, eine Ausgeburt der Walpurgisnacht.
Kapitel 5
Bruder der Großen Spinne
Als sich der Wald zu einer von hohen Buchen und Ulmen gesäumten Lichtung öffnete, richtete eine Handvoll Bogenschützen ihre Pfeile auf uns. Die Männer trugen nicht die Rüstung der königlichen Wache, sondern ähnliche Jagdkleidung wie unser seltsamer Führer.
Sobald sie den Schotten erkannten, senkten sie die Waffen und steckten die Pfeile zurück in die Köcher. Sie standen vor der Kapelle des Jagdpatrons, und ein paar Pferde weideten an einem leise plätschern-den Bach. Die Wilde Jagd der heidnischen Götter schien eine Rast ein-gelegt und das geweihte Haus der Christenheit nur zufällig besucht zu haben.
Während Quentin Durward mit den Jägern eine kurze Unterredung hatte, die ich nicht verstand, da sie sich des Schottischen bedienten, sah ich mir die Kapelle an. Sie war nach einfachster Art errichtet und reichlich klein angesichts der hoch aufragenden Bäume, die wie riesenhafte Wächter rund um die Lichtung standen. Durch die bunten, mit Jagdszenen verzierten Fenster fiel schwacher Lichtschein nach draußen, und ich vernahm leise Stimmen, nicht lauter als das Gemurmel des Baches. An die Kapelle schloß sich eine Holzhütte an, die arg verfallen war.
»Hier wohnte einst ein Einsiedler, der das Priesteramt in der Hubertuskapelle versah«, erklärte Durward und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Aber das ist lange her, eine Erinnerung an eine ferne, wenn auch nicht bessere Zeit. Treten wir ein, man erwartet uns bereits.«
Über dem bogenförmigen Eingang prangte in einer Nische das Bild von Sankt Hubertus, ein Jagdhorn um den Hals und ein Rudel Wind-hunde im Gefolge. Der Raum glich eher einer Jagdhütte als einem Gotteshaus. Nicht Kruzifixe und Szenen aus der Heiligen Schrift schmückten die Wände, sondern Jagdhörner, Bogen, Köcher, Saufedern und die Köpfe erlegter Hirsche, Wölfe, Bären und Eber. Anstelle von Teppi-chen umgaben kostbare Felle von Tieren aus allen Weltteilen den Altar.Aber nicht die seltsame Ausschmückung der Hubertuskapelle erregte mein Erstaunen. Mein Blick streifte sie nur kurz, um dann auf den fünf Männern zu verweilen, die auf den mit Fellen ausgelegten Bänken saßen und im Schein der wenigen brennenden Wandkerzen wie Schattenwesen anmuteten. Es waren Villon, Leonardo,
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