Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
Vom Netzwerk:
hinein:

    »SAMUEL! MARTHA! IBSEN!«
    Doch sie hörte nur ihr eigenes Echo.
    »Nun gut, Eda«, sagte sie zu sich selbst, »auf geht’s.«
    Sie fasste den Speer fester und vergewisserte sich, dass das Armband mitsamt der Zinnscheibe immer noch an ihrem Handgelenk saß. Da alles an seinem Platz war, sog sie noch einmal tief die kalte Luft ein, als würde ihr das Mut verleihen, und verschwand im Schatten der Bäume.

Tränen, die zu Eis gefrieren
    M artha saß immer noch auf dem harten Boden ihrer Gefängniszelle. »Du bist ja so stumm, Menschenkind«, sagte die weißhaarige Frau in der gegenüberliegenden Zelle. »Wo ist deine Sprache geblieben? Wo hast du sie verloren?«
    Martha antwortete nicht, doch die alte Frau nickte, als fände sie die Antwort in ihrem Schweigen.
    »Weißt du, warum sie dich eingesperrt haben?«
    Martha schüttelte den Kopf.
    »Weil du ein Mensch bist, und Menschen ist der Wald verboten … mit einer Ausnahme. Das ist zwar nicht gerecht, doch nichts im Wald ist gerecht. Nicht mehr. Nicht seit der Wald sich verwandelt hat. Niemand hier hat sein Schicksal verdient, keiner von uns ist ein Verbrecher.«
    »Außer dem Tomtegubb«, warf der rechte Kopf des Trolls ein. »Sein Singen sollte definitiv verboten werden. Darum könnte sich der Veränderer wirklich mal kümmern.«
    Der Troll hatte Martha beide Köpfe zugewandt und stellte sich vor.
    »Ich bin der linke Troll«, sagte sein linker Kopf.
    »Und ich der rechte«, sprach der andere.
    »Manche Leute glauben, wir sind nur ein einziger Troll, weil wir einen gemeinsamen Körper haben, aber das stimmt nicht.«
    »Morgen werden wir jedenfalls überhaupt kein Troll in gar
keinem Körper mehr sein«, seufzte der rechte Troll, »sondern nur noch Staub. Und das ist alles deine Schuld.«
    »Hör endlich mit dem Gezeter auf«, entgegnete der linke Troll.
    »Hättest du früher auf mein Gezeter gehört, dann säßen wir jetzt nicht hier«, sagte der rechte.
    »Mein ganzes blubsiges Leben lang liegst du mir schon in den Ohren. Nicht einmal im See durfte ich baden, weil das angeblich zu gefährlich war.«
    »Es war zu gefährlich.«
    »Kein Wunder, dass wir stinken.«
    »Lieber stinken, als tot sein.«
    »Du bist ein blubsiger Feigling«, sagte der linke Troll.
    »Und du bist ein blubsiger Irrer«, erwiderte der rechte Troll. »Ich hab dir ja gesagt, was passiert, wenn wir den Wald verlassen. Aber hast du auf mich gehört? Natürlich nicht.«
    Dann erinnerte sich der linke Troll daran, dass sie eigentlich gerade dabei waren, sich Martha vorzustellen.
    »Entschuldige unser Benehmen«, sagte er, »wir sind halt nur Trolle. Aber wir sind nicht böse, wie die meisten Leute glauben. Wir sind völlig harmlos, ehrlich! Wir sind nur eben nicht so höflich und anständig wir ihr Menschen. Ich und der rechte Troll liegen uns ständig in den Haaren. Das Leben in einem gemeinsamen Körper lässt einem ja nicht viel Freiraum. Außerdem ist er ein blubsiger Waschlappen, wenn du mir diesen Hekron-Ausdruck gestattest.«
    »Selber Waschlappen«, giftete der rechte Troll und zog den linken Troll an den Haaren.
    »Angst vor dem Waschen zu haben! So jemand nennt man in jeder Sprache einen blubsigen Waschlappen«, entgegnete der linke Troll und zerrte den rechten Troll am Bart.
    Der Kampf der beiden Trollhälften hatte keinen klaren Gewinner, weil die Kräfte gleich verteilt waren.

    »Das hast du davon!«, sagte der linke Troll, während er dem anderen die Nase umdrehte.
    »Na warte!«, sagte der rechte Troll und kniff den anderen in die Unterlippe.
    Als die beiden Trolle endlich erschöpft voneinander abließen, wandte sich die alte Frau erneut Martha zu.
    »Ich bin die Schneehexe«, erklärte sie. »Bist du schon mal einer Hexe begegnet?«
    Martha schüttelte den Kopf.
    »Hab keine Angst, Menschenkind. Magie ist nichts Böses an sich. Nur die Gründe, sich der Magie zu bedienen, können böse sein.« Sie nickte traurig. »Außerdem ist die Zauberkraft einer Hexe nicht unendlich. Meine wird immer schwächer. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch magische Fähigkeiten habe … Das liegt an meiner Schwester, der Schattenhexe. Sie hat mir mein Armband gestohlen. Ein Hek-Armband. Es schützt vor den Gefahren des Waldes. Mit dem Armband hat sie mir auch meine Zauberkraft geraubt.«
    »Hasst du sie?«, fragte der linke Troll, während er dem rechten Troll einen grimmigen Blick zuwarf.
    »Nein, ich hasse sie nicht«, antwortete die Schneehexe. »Sie ist meine Schwester. Außerdem ist

Weitere Kostenlose Bücher