Im Schattenwald

Blockhaus auf einem der östlichen Hügel. Es ist sehr klein und hat das unschuldigste Gesicht, das man sich nur vorstellen kann. Besondere Kennzeichen sind die spitzen Ohren, die nach oben gedrehte Nase und die im Verhältnis zum Körper großen Füße. Man darf sich von ihrem Benehmen nicht täuschen lassen, denn Wahrheits-Pixies sind ÄUSSERST GEFÄHRLICH.

    Samuel hörte auf zu lesen, weil der Wahrheits-Pixie wieder zu reden begann.
    »Was ist? Möchtest du nicht die köstliche Suppe probieren?«
    »Nein«, antwortete Samuel, indem er die großen Füße des Pixies betrachtete. »Ich meine, ja … ich meine, ich bin noch nicht zum Essen gekommen, weil ich gekleckert habe … auf mein Knie.«
    Er schob das Buch noch weiter unter den Tisch, damit der Wahrheits-Pixie es nicht sehen konnte. Das kleine Wesen warf seinem Gast einen misstrauischen Blick zu.
    Aus verständlichen Gründen wollte ihm Samuel das Buch nicht zeigen.

    Da erblickte er einen Brotlaib, der auf einem silbernen Tablett lag. »Oh, könnte ich etwas Brot bekommen, um … um es in die Suppe zu tunken?«
    Der Wahrheits-Pixie stand unbeweglich da; er schien gleichzeitig zu lächeln und die Stirn zu runzeln.
    »Du willst Brot zu meiner Suppe?«
    »Äh … ja … bitte.«
    »Brot zur Suppe! Was für eine lustige Idee.«
    »Dort, wo ich herkomme … ist das ganz normal. Außerdem kann ich die Suppe so besser mit meinem Hund teilen.«
    Der Wahrheits-Pixie schien seine Verärgerung zu unterdrücken und sagte: »Brot zur Suppe, wie du willst.«
    Er ging zum silbernen Tablett hinüber und schnitt das Brot in Scheiben. Während Samuel unbeobachtet war, zog er schnell das Buch unter dem Tisch hervor und las weiter.

    Wahrheits-Pixies sind sehr gefährlich, weil sie andere Wesen (auch Menschen) mit ihrem sanften Lächeln anlocken und ihnen Essen und Erholung anbieten, ehe sie ihnen eine vergiftete Suppe servieren. Die Suppe riecht köstlich, enthält jedoch ein tödliches Kraut namens Hewlip, das an den Berghängen wächst.
    Hewlip lässt das Gehirn unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme expandieren und schließlich platzen , was zwangsläufig einen blutigen und schmerzhaften Tod zur Folge hat. Der Wahrheits-Pixie genießt diesen grauenvollen Anblick über alles und bricht zuweilen in heftigen Applaus aus.

    Unten auf der Seite stand in kleinerer Schrift geschrieben:

    Schwäche: Unfähigkeit zu lügen

Einige Tatsachen
    F ünf Scheiben, bitte sehr.«
    Samuel zuckte zusammen. Er hatte gar nicht gehört, wie der Wahrheits-Pixie mit dem Brot zu ihm an den Tisch gekommen war. Er knallte das Buch zu und klemmte es sich zwischen die Oberschenkel. »Danke«, sagte er.
    »Was hast du da?« Der Wahrheits-Pixie zeigte mit dem Finger auf Samuels Schoß.
    »Oh, das ist … nur ein Buch. Ein Buch voller Geschichten. Nichts Wichtiges. Die sind alle frei erfunden.«
    »Geschichten!« Der Wahrheits-Pixie verzog das Gesicht und streckte die Zunge heraus, als hätte er einen ekelhaften Geschmack im Mund. »Ich hasse erfundene Geschichten. Ich mag Tatsachen und keine Märchen.«
    Der Wahrheits-Pixie ließ die Schultern sinken, und Samuel fragte sich für einen Moment, ob solch ein niedliches Wesen wirklich gefährlich sein konnte.
    »Sie wird kalt.«
    »Bitte?«
    Der Wahrheits-Pixie deutete auf Samuels Schüssel. »Meine Suppe. Sie schmeckt besser, wenn sie warm ist. Du solltest sie jetzt essen. Sie schmeckt wirklich wunderbar.«
    Samuel nahm eine Brotscheibe und riss sie in zwei Hälften. Die Augen des Wahrheits-Pixies weiteten sich vor Aufregung, als das Brot in die Suppe getunkt wurde.

    Natürlich dachte Samuel nicht im Traum daran, die Suppe zu essen, doch hatte er noch keine rechte Ausrede parat. Dann erinnerte er sich …
    »Du bist doch ein Wahrheits-Pixie, nicht wahr?«, fragte Samuel, während das Brot sich auf halbem Weg zwischen der Schüssel und seinem Mund befand.
    Der Wahrheits-Pixie kniff das Gesicht zusammen, als hätte ihm die Frage einen Schlag auf seine nach oben gebogene Nase versetzt.
    »Ja«, antwortete er, bevor er sich mit der Hand den Mund zuhielt.
    Samuel nickte. »Und die Suppe ist vergiftet?«
    Das Gesicht des Wahrheits-Pixies verzerrte sich zu einer Grimasse. »Ja«, sagte er, nachdem er die Hand vom Mund genommen hatte.
    »Was passiert mit mir, wenn ich die Suppe esse?«
    Der Wahrheits-Pixie wand sich hin und her. »Sie ist sehr giftig und lässt dein Gehirn explodieren und an die Wand spritzen. Das ist der schmerzhafteste Tod, den man sich nur