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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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das Singen alles abverlangt. Der einzige Gedanke, der in ihrem Kopf Platz gefunden hatte, galt ihrem Bruder und all den Schwierigkeiten, die sie ihm bereitet hatte, weil sie in den Wald gelaufen war.
    In seltenen Momenten gewann die Person, die der Veränderer einst gewesen war, die Oberhand über das Monster, und es war in einem solchen Moment, als er Samuel seine menschliche Gestalt zurückgab und Marthas Schatten entließ.
    »Samuel …«, sagte sie. Ihre Stimme war immer noch so rein und zart wie der Tau. »Es tut mir leid!« Sie hatte ihre Stimme wiedergefunden, als es am allerwichtigsten war, und würde sie in ihrem Leben nie wieder verlieren.
    Der Professor betrachtete die beiden Kinder, und wie er sie so betrachtete und ihre gegenseitige Liebe entdeckte, war er nicht nur ein wenig eifersüchtig.
    »Oh, nein«, sagte er. »Ich Narr! Mein Geburtstag ist ihr doch völlig egal. Niemand interessiert sich für meinen Geburtstag. Noch nie hat sich jemand dafür interessiert.« Er erinnerte sich daran, wie seine Pflegeeltern, Mr und Mrs Twigg, verhindert hatten, dass er irgendwelche Geburtstagskarten bekam. Und plötzlich, in einem unerklärlichen Wutanfall, beschloss er, Samuel und Martha auf die grausamste Art und Weise zu töten.
    Er schloss die Augen und entfesselte seine grausame Magie.
    »Es herrsche Finsternis!«, sagte er, indem er begann, die langen Schatten der Bäume, die sich über die Lichtung erstreckten, aufzusaugen. Je mehr Schatten er in sich aufnahm, desto größer wurde seine Kraft. Aus immer größerer Entfernung flogen die Schatten auf ihn zu.
    Ein brodelnder schwarzer Nebel kroch über den Boden und hüllte Samuel und Martha ein. Sie konnten nichts mehr sehen und rangen nach Luft. Im Grunde wären sie an diesem Nebel von allein erstickt, doch der Veränderer hatte sich einen unterhaltsameren Tod für sie ausgedacht.
    Schließlich war es sein Geburtstag.
    Der Nebel lichtete sich, und die Schwaden trieben in den Mund des ehemaligen Professors, dem fast die Sinne schwanden beim Versuch, sie alle in sich aufzunehmen.
    »Oh, Schattenhexe«, flüsterte er. »Warum wolltest du nie diese Macht besitzen?«
    Samuel warf Martha einen Blick zu.
    »Lauf!«, rief er plötzlich. »Lauf!«
    Er griff ihre Hand und gemeinsam rannten sie über die Lichtung, doch schon nach wenigen Schritten bekamen sie einen Schock.
    Ihre Herzen begannen, wie wild zu hämmern, während sie ungläubig die Augen aufrissen.
    Nicht nur sie liefen auf die Bäume zu.
    Die Bäume kamen ihnen entgegen.

Der erwachende Wald
    S ie trauten ihren Augen nicht.
    Eine Armee von Bäumen, mit deformierten und missgestalteten Ästen, bewegte sich ihnen entgegen. Die Äste schienen ein Eigenleben zu führen. Wurzeln zogen sich eigenmächtig aus der Erde, wie Füße, die sich von ihren Schuhen befreiten.
    Die Geräusche waren nicht weniger furchteinflößend als der Anblick.
    Das schauderhafte Ächzen sich biegenden Holzes.
    Das unheilvolle Knacken der berstenden Erde.
    Die rasenden Herzen der entsetzten Kinder.
    Samuel und Martha blieben wie angewurzelt stehen. Die natürliche Ordnung der Dinge war auf den Kopf gestellt: Panische Menschen bewegten sich nicht vom Fleck, während entfesselte Bäume sich ihren Weg bahnten.
    Doch taten sie dies nicht aus eigenem Antrieb. Das Geschöpf, das einst Professor Horatio Tanglewood gewesen war, dirigierte den Wald wie ein Dirigent sein Orchester.
    »Was sollen wir tun?«, fragte Martha.
    Immer näher kamen die Bäume, streckten ihre Äste aus und bewegten die Zweige wie Finger.
    »Zurück!«, rief Samuel und riss seine Schwester an der Hand herum.
    Aber es war zu spät. Die Bäume waren ihnen bereits zu
nahe gekommen - so nah, dass eine Wurzel sich um Marthas Fußgelenk schlang.
    »Sam … ahhhhh!«, schrie sie, als sie die Hand ihres Bruders verlor.
    Doch Samuel konnte ihr nicht helfen, weil er im selben Moment einem anderen Baum zum Opfer fiel. Ein Ast streckte sich zu ihm herunter, wickelte sich einmal um Samuels Taille und schoss mit ihm in die Höhe.
    Sein Oberkörper klappte nach vorne, während die Erde in rasender Geschwindigkeit unter ihm verschwand. Er sah, wie der Veränderer schwarze Rauchwolken lachte, während er die Bäume dirigierte. Die Wurzeln und Äste des anderen Baumes umschlangen Martha inzwischen so fest wie die Arme überbesorgter Eltern.
    »Marth … ahhhhh!«
    Samuel empfand zwei Dinge gleichzeitig: Zum einen, dass er viel zu schnell nach oben gerissen wurde, zum anderen, dass der

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