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Im Schneeregen

Im Schneeregen

Titel: Im Schneeregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schenk
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den Praktikanten, ab und zu schließt er sich ihnen an, wenn sie sich ein Sandwich kaufen oder ein Stück Pizza. Dann setzen sie sich irgendwo hin, und er hört zu, wie gelassen sie über ihre Zukunft reden. Nach ein paar Wochen wechseln sie in eine andere Abteilung.
    Letzte Woche ist eine Kollegin verabschiedet worden, in einer Bar in der Innenstadt. Er stand teilnahmslos an der Theke, versuchte dem Gespräch zu folgen, vom Spesenreglement war die Rede, die Frau wechselte zu einer anderen Bank, da galt es Vergleiche anzustellen, über den Geschäftswagen war man sich uneinig, klar war nur, dass der Leasingbetrag, der ihr zustand, voll ausgeschöpft werden musste. Schwitters Augen wanderten zu drei Geschäftsleuten in seinem Alter, sie waren nicht von seiner Bank, saßen in einer Ecke, hatten Weißwein bestellt und gaben sich entspannt in ihren dunkelgrauen Anzügen, redeten lebhaft durcheinander. Zu verstehen, worüber sie sprachen, war nicht nötig – Schwitter imponierte die Art, wie sie sprachen: Keiner führte das Wort, keiner hörte ehrfürchtig zu, das waren keine subalternen Berater oder vom Erfolg verwöhnte Verkäufer, die Zuhörer für ihre Geschichten suchen, die Stimmen der drei waren gleichwertig, als würden sie eine Fuge sprechen, wahre Mehrstimmigkeit, wie er sie auf dem Klavier nie erreicht hatte. Da räusperte sich sein Chef, ein paar offizielle Worte, begann er zu reden, doch Schwitter musste ständig zu den andern blicken, wie ernsthaft sie argumentierten, wie befreit sie im nächsten Augenblick lachten, deine originäre Art, sagte sein Chef, es ist ja immer diffizil, zur Konkurrenz zu wechseln, aber in der heutigen Situation natürlich evident, wer weiß, was noch alles kommt, etwas Bedauern dann noch und auch Zuversicht, ein Blumenstrauß und dann Händeklatschen, für Schwitter das Zeichen, den Blick seines Chefs zu suchen, aufmerksam zu sein, um sich im rechten Moment beeindruckt zeigen zu können vom Gesagten, dann endlich konnte er sich wieder abdrehen, einer der drei Männer war gerade daran, ein paar entschiedene Sätze ins Telefon zu sprechen, sie bezahlten, standen auf, ein kleines Handzeichen hatte genügt, damit ihnen der Kellner die Rechnung brachte. Schwitter war es gewohnt, lange zu warten, oft musste er aufstehen und mit dem gestreckten Arm winken, damit er bedient wurde.
    Die werden staunen in der Bank. Kurzer Spitalaufenthalt, großes helles Zimmer, Blick in den Park, dahinter die Berge, vom verhangenen Himmel braucht er nichts zu sagen, vielleicht etwas über den Professor, Visite vom Chefarzt persönlich. Nach der Einleitung wird sein Bericht lebendig, er muss nichts dazuerfinden, nicht ausschmücken, braucht nur zu erzählen, wie er in den Schneeregen gerät, wie er sich den Knöchel übertritt, wie der Fuß heiß wird, wie er sich aufrichtet, wie er nun schnell atmet, wie er sich weiterschleppt durch den Schnee, wie er an einen Weg gelangt, wie er sich hinlegt, wie er sich auf den Rücken dreht, wie er in die Wolken blickt, zwischen den Bäumen hindurch, wie ihm Schnee und Regen entgegenfliegen, wie die Tropfen auf sein Gesicht fallen, wie sich die Flocken sanft dazwischenmischen, wie die Bewegung immer langsamer wird, bis sie in der Luft still stehen und er die Teilchen zählen kann, eines nach dem andern.
    Sie wollten zusammen nach Rom fahren, nur für einen Monat, wollten ausprobieren, wie das wäre in der Stadt, um später einmal richtig zu verreisen, für ein Jahr oder auch länger, sie hätten eine Wohnung suchen können oder wenigstens ein Quartier, das in Frage kam, Beatrice hatte dort eine Freundin, das hätte es einfach gemacht. Vielleicht lag es am Wein, dass er etwas grob wurde, vielleicht an den Strapazen, denen er in Rom ausgesetzt gewesen wäre, aus Dutzenden von Cafés und Bars hätte er ein paar für sich bewohnbar machen, den Tag mit wiederkehrenden Beschäftigungen ausfüllen müssen. Was fällt dir ein, schrie er, als sie ihm das Zugticket zeigte, Schlafwagen bis Rom,
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, dabei hatten sie das Datum noch gar nicht definitiv abgemacht, er hatte nochmals seinen Chef fragen wollen, ob er wirklich für einen ganzen Monat wegfahren könnte, angesichts der Turbulenzen keine Selbstverständlichkeit, und jetzt hatte sie alles gebucht. Ich weiß gar nicht, weshalb wir über diese Dinge reden, fuhr er sie an, wenn du alles selbst entscheidest, du organisierst mein Leben, als wäre es deines. Ihr Gesicht wurde hart, als wüsste sie bereits, dass sie nie

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