Im Schutz der Nacht
nein, das war zu gefährlich? Warum waren alle damit einverstanden, dass er sein Leben aufs Spiel setzte?
Weil, wie er ihr deutlich gemacht hatte, niemand seinen Platz einnehmen konnte. Creed war verletzt. Mario war tot. Alle anderen waren zu alt und nicht mehr in Form, oder viel zu alt und völlig außer Form.
Außer ihr.
»Nein«, sagte sie, als sich sonst niemand zu Wort meldete. »Nein. Das ist zu gefährlich, versuch nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen«, fuhr sie ihm über den Mund, als Cal ihn öffnete, um genau das zu tun. »Glaubst du wirklich, sie warten nicht nur darauf, dass jemand genau das versucht? Du konntest gestern kaum gehen, so durchgefroren warst du, nachdem du im Wasser warst. Was wird aus uns, wenn sie dich abfangen?«
»Dann werden sie wohl abziehen, könnte ich mir vorstellen, nachdem sie offenbar mich haben wollen.«
Er sagte das so gelassen, dass sie ihn am liebsten angeschrien, gepackt und durchgerüttelt hätte, weil er sein Leben so achtlos wegwerfen wollte. Sie stand mit geballten Fäusten da, während diese verfluchten Männer sie anstarrten, als wollte sie seinen Plan nicht begreifen. Natürlich hatte sie ihn begriffen, aber sie würde das kein zweites Mal mitmachen.
»Das weißt du doch gar nicht. Wir wissen weder mit Sicherheit, wer diese Leute sind, noch was sie wollen. Was ist, wenn das alles gar nichts mit dir zu tun hat? Und selbst wenn doch, glaubst du wirklich, sie würden danach einfach einpacken und abziehen? Sie haben sieben Menschen umgebracht, und wir sind allesamt der Meinung, dass das eine ziemlich heftige Reaktion darauf ist, dass du sie überrumpelt hast. Es muss ihnen um etwas anderes gehen. Wir wissen nur nicht worum.«
Er betrachtete sie nachdenklich und nickte dann. »Du hast Recht. Es muss ihnen um etwas anderes gehen.«
»Kannst du garantieren, dass du ungesehen an ihnen vorbeikommst?«
»Nein, kann ich nicht.«
»Dann können wir nicht riskieren, dich zu verlieren, Cal. Das können wir nicht. Wir sind nicht hilflos, aber wir sind definitiv eingekesselt, und sie sind uns überlegen.« Verzweifelt wartete sie auf einen Geistesblitz, auf den rettenden Einfall, wie sie fliehen konnten, ohne dass Cal sein Leben einem so hohen Risiko aussetzen musste. Er hatte Recht, der direkte Weg führte durch die Stellungen der Schützen. Wenn sie nur irgendwie nach oben gelangen und sie umgehen konnten ...
»Wir können nicht untätig abwarten«, sagte Creed. »Wir sind auf eine Belagerung nicht vorbereitet, und genau darum handelt es sich.«
Cate hatte das Gefühl, dass ihre Stimme von außen kam. »Es gibt einen anderen Weg«, hörte sie sich sagen. Alle verstummten und sahen sie an, dann merkte sie, wie sie vortrat. Tief in ihrem Inneren rief ein panisches Stimmchen Nein nein nein, aber irgendwie konnte sie ihren Füßen keinen Einhalt gebieten, sondern drängte durch die eng stehenden Menschen, um mit dem Zeigefinger jene Berge festzunageln, die Cal als bergziegenwürdig bezeichnet hatte. »Ich könnte diese Berge erklettern. Ich habe diese Berge schon erklettert. Ich habe früher geklettert, das wisst ihr alle, ihr habt mein Zeug gesehen. Wenn ich mich anseile, ist es nicht weiter gefährlich.« Das war nicht die ganze Wahrheit, aber sie beließ es dabei. »Da sie bestimmt nicht erwarten, dass wir es über diese Route probieren, werden sie die Felsen nicht überwachen. Niemand wird auf mich schießen, niemand wird wie ein Opferlamm zur Schlachtbank geführt.«
»Cate«, setzte Cal an. »Du hast zwei Kinder.«
»Ich weiß.« Tränen standen in ihren Augen. »Ich weiß.« Und sie wollte sie aufwachsen sehen. Sie wollte für sie sorgen und ihre Enkel im Arm halten und die Millionen Dinge erleben, von denen alle Eltern träumen. Aber sie konnte die plötzliche Gewissheit nicht abschütteln, dass er nicht durchkommen würde, wenn er seinen
Plan in die Tat umsetzte, und dass sie danach umso verletzlicher wären. Vielleicht würden sie alle sterben, und ihre Kinder würden nichtsdestotrotz ihre Mutter verlieren. So gefährlich ihr Vorhaben auch war, sie glaubte nicht, dass es so gefährlich war wie das, was Cal vorgeschlagen hatte.
»Sie hat Recht«, meldete sich Roy Edward zu Wort.
Alle wandten sich dem alten Mann zu. Er saß auf einem der Esszimmerstühle, die am Vorabend heruntergetragen worden waren. Sein linker Arm und die linke Hälfte seines Gesichts waren nach seinem Sturz tieflila angelaufen, sein Mund war zu einem entschlossen wirkenden Strich
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