Im Schutz der Nacht
im Sinne der Kinder entschieden zu haben. Ihnen galt ihr erster Gedanke, sie waren der Urgrund für alles, was sie tat. Die Aufgabe, sie zu versorgen und großzuziehen, lastete allein auf ihren Schultern, sie war fest entschlossen, alles für ihr Wohlergehen zu tun.
Manchmal fühlte sie sich so allein, dass sie glaubte, unter dem Druck zu zerbrechen. Oberflächlich betrachtet war alles ganz normal, wenn nicht banal. Sie lebte in diesem kleinen Ort, wo jeder jeden kannte; sie zog ihre Kinder groß; sie kaufte ein, kochte, beglich Rechnungen und schlug sich mit all den Sorgen herum, die jeder Hausbesitzer kennt. Jeder Tag glich fast identisch dem vorangegangenen.
Doch seit Dereks Tod fühlte sie sich, als würde sie am Abgrund einer Klippe entlangspazieren und beim geringsten Fehltritt abstürzen. Sie allein trug die Verantwortung für ihre Kinder, musste allein für sie sorgen, und zwar nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft. Was, wenn das Geld, das sie für ihre Ausbildung beiseitegelegt hatte, nicht genügte? Wenn der Aktienmarkt einbrach, wenn sie achtzehn waren, oder die Zinsen in den Keller gingen? Auch für den Erfolg oder Misserfolg ihrer Pension war Cate ganz allein verantwortlich - sie war für alles ganz allein verantwortlich, für jede Entscheidung, jedes Vorhaben, jede Sekunde. Wenn sie nur für sich selbst hätte sorgen müssen, hätte ihr das wenig Angst gemacht; aber sie hatte die Jungs, und ihretwegen lebte sie in ständiger Sorge.
Sie waren erst vier, noch richtige Kleinkinder, und ganz und gar auf sie angewiesen. Ihren Vater hatten sie schon verloren, auch wenn sie sich nicht an ihn erinnern konnten, so spürten sie doch gewiss, dass er in ihrem Leben fehlte, und sie würden diesen Verlust umso schmerzhafter spüren, je älter sie wurden. Wie konnte sie das allein wettmachen? War sie stark genug, um die beiden durch die stürmische, hormongeplagte Pubertät zu steuern? Sie liebte sie so sehr, dass sie es nicht ertragen würde, wenn ihnen etwas zustieß, aber was war, wenn die Entscheidungen, die sie gefällt hatte, grundverkehrt waren?
Garantien gab es keine. Das wusste sie, sie wusste auch, dass es möglicherweise auch Probleme gegeben hätte, wenn Derek noch am Leben gewesen wäre; der entscheidende Unterschied war, dass sie dann nicht allein davorgestanden hätte.
Den Zwillingen zuliebe hatte sie sich nach Dereks Tod gezwungen, ganz normal zu funktionieren, und ihre Trauer in ein inneres Verlies gesperrt, wo sie eingeschlossen blieb, bis sie abends ganz allein war. Wochenlang, monatelang hatte sie Nacht für Nacht durchgeweint. Aber tagsüber hatte sie sich ganz auf ihre Babys und deren Bedürfnisse konzentriert, und mehr oder weniger kam sie heute, drei Jahre später, immer noch so über die Runden. Die Zeit hatte ihrer Trauer die Schärfe genommen, aber sie nicht gelindert. Fast jeden Tag dachte sie an Derek, wenn sie seine Züge in den lebendigen Mienen seiner Söhne wiedererkannte. Oben auf ihrer Kommode stand ein Bild von den dreien. Manchmal betrachteten es die Jungs und wussten dann, dass dies ihr Vater war.
Sie hatte sieben wundervolle Jahre mit ihm verbracht, dass er nicht mehr da war, hatte ein riesiges Loch in ihr Leben und ihr Herz gerissen. Die Jungen würden ihn nie kennen lernen, und diesen Verlust konnte sie niemals aufwiegen.
Ihre Mutter traf am Nachmittag um kurz nach vier ein. Cate hatte nach ihr Ausschau gehalten und lief zusammen mit den Jungen aus dem Haus, um sie willkommen zu heißen, sobald der schwarze Jeep Liberty auf den Parkplatz bog.
»Da sind meine Jungens!«, rief Sheila Wells, sprang aus dem Jeep und ging in die Hocke, um die Zwillinge an sich zu drücken.
»Mimi, schau mal«, rief Tucker und streckte ihr das Feuerwehrauto in seiner Hand entgegen.
»Schau mal«, echote Tanner und hielt ihr einen gelben Müllwagen unter die Nase. Beide Jungen hatten ihren wertvollsten Besitz mitgebracht, damit sie ihn bewundern konnte.
Sie enttäuschte die beiden nicht. »Meine Güte, sieh sich das einer an! Ein schöneres Feuerwehr- und Müllauto habe ich nicht gesehen, seit - also ehrlich, ich glaube, ich habe noch nie schönere Autos gesehen.«
»Hör mal«, sagte Tucker und schaltete die Sirene ein.
Tanner sah finster zu. Sein Müllauto hatte keine Sirene, aber man konnte die Ladeklappe kippen und alles ausleeren, was der Laster geladen hatte. Er bückte sich, schaufelte etwas Kies in den Laster, hielt ihn dann über Tuckers Feuerwehrauto und leerte den Kies
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