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Im Schutz der Nacht

Titel: Im Schutz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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verwittert, bis er genauso kalt und gefühllos geworden war wie Yuell; inzwischen war er fähig, ein Menschenleben so gedankenlos auszulöschen, als würde er eine Kakerlake zertreten.
    Er hatte gewusst, dass es so kommen würde, dass er diesen Preis zahlen musste, aber sein Hass glühte so stark, dass das Ergebnis alles aufwog. Für ihn hatte nur gezählt, dass er in Yuells Nähe war und dort abwarten konnte.
    Vor sechzehn Jahren hatte Yuell Faulkner Goss’ Vater getötet. Goss gab sich keinen Illusionen darüber hin, was für ein Mensch sein Vater gewesen war; er war Profikiller gewesen, genau wie Faulkner und genau wie Goss selbst. Aber er hatte etwas Elektrisierendes an sich gehabt, etwas, das ihn überlebensgroß wirken ließ. Ein komplizierter Mensch, sein Vater; einerseits ein liebender Ehemann und strenger, aber gerechter Vater, andererseits hatte er Menschen umgebracht. Irgendwie hatte sein Vater beides in seinem Kopf und seinem Leben so strikt trennen können, wie es Goss niemals möglich wäre.
    Sein Vater hatte etwas mehr als drei Jahre für Faulkner gearbeitet. Bis jetzt hatte Goss lediglich herausfinden können - und das auch erst, nachdem er sich Faulkner und seiner Mörderbande angeschlossen hatte -, dass Faulkner seinen Vater als schwaches Glied angesehen und darum exekutiert hatte. Was die Tat letztendlich ausgelöst hatte, hatte Faulkner nie verraten.
    Für Yuell Faulkner war es eine rein geschäftliche Entscheidung gewesen. Für Goss war es eine Katastrophe, die sein Leben zerstörte. Seine Mutter war an dem Mord an ihrem Ehemann zerbrochen; an jenem Tag, an dem Goss wieder aufs College gegangen war, nur eine Woche nach der Beisetzung, hatte sie eine Schachtel Pillen geschluckt. Goss hatte ihre Leiche gefunden, als er nachmittags wieder nach Hause gekommen war.
    Als Goss in der Küchentür stand und seine Mutter tot auf dem Boden liegen sah, starb etwas in ihm, etwas Menschliches. Dass er sie auch noch verloren hatte, so kurz nach dem Mord an seinem Vater, war mehr, als er ertragen konnte.
    Er war damals neunzehn und damit zu alt, um noch in ein Waisenhaus zu gehen. Er ging vom College ab, verließ das Haus in der Vorstadt, in das er nie wieder einen Fuß setzen sollte, und begann umherzuziehen. Das Haus war mittlerweile wahrscheinlich längst vom Finanzamt zwangsversteigert worden. Es war ihm gleich, er war nie wieder zurückgekehrt, war nie aus reiner Neugier daran vorbeigefahren, um nachzusehen, ob inzwischen jemand anderer darin wohnte oder ob es niedergerissen worden war, um Platz für eine Tankstelle oder weiß Gott was zu machen.
    Nach etwa einem Jahr begann der Rachegedanke, der seit dem Mord an seinem Vater in ihm gekeimt war, feste Gestalt anzunehmen. Bis dahin war er zu betäubt gewesen, um Pläne zu schmieden oder einen bestimmten Weg einzuschlagen, aber nun hatte sein Leben wieder ein Ziel, und dieses Ziel war der Tod. Yuell Faulkners Tod, um genau zu sein, obwohl er lange den Mörder seines Vaters nicht beim Namen nennen konnte; auch sein eigener Tod könnte Goss nicht mehr von seinem Ziel abbringen.
    Erst jedoch musste er sich neu erfinden. Ryan Ferris, der Junge, der er gewesen war, musste sterben. Das war nicht besonders schwierig zu bewerkstelligen gewesen. Er hatte nach einem obdachlosen Jungen Ausschau gehalten, einem Süchtigen, der etwa seine Größe und sein Alter hatte, und ihn dann beschattet; als er seine Chance gekommen sah, hatte er ihn von hinten angesprungen, ihn k.o. geschlagen und sein Gesicht zu Brei geschlagen, ehe er ihn umgebracht hatte. Anschließend hatte er seinen Ausweis bei der Leiche versteckt und sie in einem Viertel abgeladen, in dem man nicht mit Leichenfledderei rechnen musste, um sich danach in einen anderen Bundesstaat abzusetzen.
    Er wusste, dass er mit diesem ersten Mord eine Linie überschritten hatte, hinter die er nie mehr zurückkehren konnte. Er war dabei, das zu werden, was ihm zutiefst zuwider war.
    Man schickt einen Dieb, um einen Dieb zu fassen. Um dem Tod entgegenzutreten, musste er selbst zum Tod werden.
    Sich eine neue Identität zuzulegen, erforderte Zeit und Geld. Er kehrte nicht sofort nach Chicago zurück, um den Mörder seines Vaters aufzuspüren. Stattdessen legte er mehrfach abgesicherte Fundamente für sein neues Selbst als Kennon Goss. Gleichzeitig schob er seine alte Identität rücksichtslos beiseite und wurde zu Kennon Goss, nicht nur für seine Mitmenschen, sondern durch und durch.
    Als er schließlich nach Chicago

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