Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
nichts erinnern. Als der Pfleger hereinkam und verlauteten ließ, die Zeit sei abgelaufen, war Irene enttäuscht. Ihre einzige Zeugin für den Bombenanschlag war von einer totalen Amnesie heimgesucht worden. Sie versuchte sich jedoch damit zu trösten, dass es sich auch um einen vorübergehenden Gedächtnisverlust handeln konnte.
Am Spätnachmittag erhielten sie die Bestätigung, dass es sich bei dem Toten um Jan-Erik Månsson handelte. Er war anhand seines Zahnstatus identifiziert worden. Seit einem Skiunfall in seiner Jugend trug Jan-Erik eine kleine Brücke im Oberkiefer, der Tote im Kofferraum ebenfalls. Außerdem hatte der Tote eine goldene Armbanduhr am Handgelenk mit der Inschrift »Jan-Erik, 50 Jahre, 2009, in großer Liebe Sissela«. Im darauffolgenden Jahr hatten sich Jan-Erik und Sissela scheiden lassen.
Frau Prof. Stridner rief persönlich an, um das durchzugeben. Das war ungewöhnlich.
»Wirklich eine widerliche Sache. Ähnliche Güteklasse wie der junge Mann, den sie in Ringön angezündet haben«, erklärte sie.
Dann legte sie auf, noch ehe ihr Irene für die Informationen danken konnte.
Irene saß eine Weile da und starrte auf den verblichenen Monet-Druck, »Impression, soleil levant«, der an ihrer Wand hing, seit sie beim Dezernat arbeitete. Sie hatte ihn mitgenommen, als sie ein Stockwerk höher gezogen waren. Als sie vom Schreibtisch aufstand, hatte sie einen Beschluss gefasst. Es war höchste Zeit, mit Krister zu sprechen.
Erst wollte er ihr nicht zuhören und wies sie verärgert darauf hin, dass er vollauf damit beschäftigt sei, die Wiedereröffnung des Restaurants am nächsten Tag vorzubereiten, auch wenn ihr das vielleicht nicht einleuchte. Das habe nun einmal vor ihrem Heischen um Aufmerksamkeit Vorrang.
Da riss Irene der Geduldsfaden.
Sie packte ihn am Oberarm und sah ihn durchdringend an. Gleichzeitig versuchte sie, ihre Stimme zu beherrschen.
»Jetzt hörst du mir zu. Janne ist tot. Ermordet! Und ich habe Anweisung von höchster Stelle, dich zu vernehmen. Aber wenn dir das lieber ist, können meine Kollegen das auch im Präsidium erledigen«, sagte sie.
Er erstarrte und sah sie ungläubig an. Langsam wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht. Irene hatte Angst, dass er ohnmächtig werden würde. Als seine Knie nachgaben, begriff sie, dass es wirklich passierte. Sie zwang ihn, sich auf einen Hocker zu setzen, der neben der Tür der Restaurantküche stand.
»Den Kopf zwischen die Knie. Ein paarmal tief Luft holen. So ist gut.«
Nach einer Weile kehrte wieder Farbe in sein Gesicht zurück, aber er sah immer noch zutiefst schockiert aus.
»Sollen wir zu Hause reden oder im Präsidium?«, fragte Irene und musste sich sehr beherrschen, um nicht selbst in Tränen auszubrechen.
»Zu Hause«, murmelte er.
»Dann fahren wir nach Hause. Und denk dran, jetzt ist es ernst.«
Sofort bereute sie ihren barschen Tonfall, wusste aber gleichzeitig auch, dass sie diesen Ton beibehalten musste, wenn sie überhaupt etwas aus ihm herausbekommen wollte. Ihre bisherige Nachgiebigkeit hatte wahrhaftig zu nichts geführt.
Während der Fahrt saß Krister stumm neben ihr auf dem Beifahrersitz. Irene wusste nicht, was sie hätte sagen sollen. Für Smalltalk war nicht der richtige Zeitpunkt, auch nicht für ein ernstes Gespräch. Das musste warten, bis sie zu Hause in ihrer Wohnung waren.
Als Irene eingeparkt hatte und ausgestiegen war, saß Krister immer noch auf seinem Platz. Sie ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür.
»Komm, mein Lieber«, sagte sie mit weicher Stimme.
Er zuckte zusammen, machte aber keine Anstalten auszusteigen. Den Blick starr geradeaus gerichtet sagte er mit rauer Stimme:
»Weiß man mit Sicherheit … dass er das ist?«
Irene holte tief Luft und antwortete dann:
»Ja.«
Als Irene und Krister in die Wohnung traten, kam Egon wie ein kleiner Zyklon aus seidigem, rotbraunem Pelz auf sie zugestürzt. Kläffend sprang er an ihren Waden hoch und gab erst Ruhe, als ihn Krister auf den Arm nahm. Glücklich leckte er seinem Herrchen das Gesicht ab. Wie alle Hunde mochte er salzige Körperflüssigkeiten, bemerkte aber nach einer Weile, dass Krister traurig war. Sofort ließ Egons Freude nach. Er versuchte jedoch weiterhin die Tränen abzulecken. Zielstrebig krabbelte er den Hals seines Herrchens hoch und schob seine Schnauze unter dessen Ohr. Er leckte und wuselte so lange, bis Krister lachen musste.
»Es handelt sich zwar um eine Vernehmung, aber vielleicht kann ich
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