Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
unnötig, dass sie erfuhren, worin ihre genauen Aufgaben bestanden. So könne sie sich einstweilen noch relativ unbehindert in den Bikerkreisen bewegen. Ein großer Vorteil, da sich das Dezernat für organisiertes Verbrechen momentan darum bemühe, sich ein umfassendes Bild ihrer Geschäfte zu verschaffen.
Irene, Sara Persson und Fredrik Stridh saßen in einem zivilen Dienstwagen mit Kommissar Stefan Bratt am Steuer und Kommissar Tommy Persson auf dem Beifahrersitz. Sie folgten den beiden Mannschaftswagen der Einsatzpolizei. Alle trugen kugelsichere Westen aus Kevlar, die unangenehm warm waren. Die Kol legen in den Mannschaftswagen waren außerdem noch mit Helmen und automatischen Waffen ausgerüstet. Die Leute vom Rauschgiftdezernat bildeten in einem Volvo Kombi, in dem sich auch Frode befand, das Ende des Konvois. Dies war eine Großrazzia, und Irene sprach ein stilles Gebet, dass sie etwas erreichen würden.
Als sie gerade auf die schmale Straße, die auf den Hof des Gothia MC führte, abbiegen wollten, kam es beinahe zu einer Massenkarambolage. Der erste Mannschaftswagen rammte um ein Haar ein großes Wohnmobil, das mit hohem Tempo auf den Östadsvägen einbog. Der Mannschaftswagen geriet beim scharfen Bremsen ins Schleudern, der folgende Wagen konnte gerade noch ausweichen. Mit quietschenden Reifen schlitterte er auf die Gegenfahrbahn, auf der glücklicherweise kein Verkehr war. Beinahe wäre jedoch der zweite Mannschaftswagen ebenfalls mit dem Wohnmobil zusammengestoßen. Irene sah die Frau am Steuer schreien. Ihre Mitfahrer hatten vor Entsetzen die Augen aufgerissen. Zwischen den beiden Frauen vorne waren Kinder auszumachen.
»Verrückte Schlampe!«, schrie Sara.
Es war ungewöhnlich, dass sie sich so ausdrückte, aber sie war ebenso sehr erschrocken wie alle im Auto.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Per Lind ströms Frau war. Und ihre zwei Kinder«, meinte Fredrik, nachdem er sich wieder einigermaßen gefasst hatte.
»Wie konntest du das so schnell sehen?«, fragte Irene erstaunt.
Sie selbst hatte nur eine Frau mit strähnigem, blondiertem Haar am Steuer und eine Beifahrerin mit kurzem, schwarz gefärbtem Haar gesehen.
»Es ist meine Arbeit, den organisierten Abschaum hier in der Stadt im Auge zu haben. Dazu gehört auch, dass man ihre Familien und ihren engeren Freundeskreis kennt«, erklärte Fredrik.
Die Einsatzgruppe wurde von offenen Toren und einem großen Spruchband mit dem Text »Willkommen beim Gothia MC !« empfangen. Als die Fahrzeuge bremsten, konnten die Beamten Kinder und Erwachsene zwischen funkelnden Motorrädern auf dem Gelände erkennen.
»Was zum Teu…«
Fredrik sprach nicht weiter, aber Irene war voll und ganz seiner Meinung. Diesen Anblick hatten sie nicht erwartet.
Als sie ausstiegen, roch es nach Gegrilltem. Dieser Geruch geht mir langsam auf die Nerven, dachte Irene und unterdrückte einen Seufzer. Eine innere Stimme sagte ihr, dass das erhoffte Ergebnis ausbleiben würde. Ein Gefühl der Entmutigung übermannte sie, noch ehe die Razzia begonnen hatte.
Hinter dem hohen Stacheldrahtzaun herrschte reges Treiben. Etwa dreißig Kinder und mindestens doppelt so viele Erwachsene flanierten zwischen den gewienerten Motorrädern und verschiedenen Buden. An einer gab es Kaffee und Cola, an einer anderen eine Kindertombola. Lautsprecher standen in den offenen Fenstern des Hauses. Der Soundtrack von »Mamma Mia!« schallte über das Gelände. In der Mitte des Vorplatzes stand ein halbiertes Ölfass, das als gigantischer Grill diente. Würste und Hamburger brutzelten. Frode hielt interessiert die Nase in die Richtung.
Per Lindström höchstpersönlich stand hinter dem Grill. Jorma Kinnunen assistierte ihm und schob Würste und Hamburger in passende Brötchen. Ein Junge, der kaum fünfzehn Jahre alt zu sein schien, aber bereits eine Gothia- MC -Weste trug, verteilte großzügig Ketchup und Senf auf allem und reichte das Essen den zufriedenen Besuchern. Wahrscheinlich war die Weste geliehen, denn sie war ihm viel zu groß.
Per Lindström warf einen säuerlichen Blick auf den Polizeikonvoi, beachtete ihn aber sonst nicht weiter. Als die Beamten durchs Tor traten, salutierte er mit einer langen Grillzange in der Hand.
»Sieh mal einer an! Auch die Konstabler kommen zu unserem Familientag!«, brummte er aufgesetzt freundlich.
Es war fast zwanzig Grad warm, und wegen der heißen Glut hatte sich Per Lindström das T-Shirt ausgezogen. Sein Oberkörper war fast vollständig von
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