Im Sog der Angst
trotzdem und gingen ins Haus.
Die Tür zum Psychologischen Service Pacifica-West war nicht verschlossen. Diesmal war das Wartezimmer nicht leer. Eine große Frau von Mitte vierzig schritt händeringend auf und ab. Sie trug einen grauen Gymnastikanzug, weiße Sportsocken, pinkfarbene Nikes, hatte lange Beine, einen kleinen Oberkörper, kurze schwarze, nach vorn gekämmte Haare. Ihre tief liegenden Augen mit den Tränensäcken waren blau und zu strahlend, ihr Gesicht glänzend und wund, es hatte die Farbe von Dosenlachs. Haut schuppte sich am Haaransatz und um die Ohren; Zeichen eines kürzlich erfolgten Peelings. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie es gewohnt war, schlecht behandelt zu werden, aber allmählich lernte, es sich nicht gefallen zu lassen. Sie ignorierte uns und schritt weiter auf und ab.
Alle drei Lampen waren rot.
Gull, Koppel und Larsen heilten Seelen.
»Ich frage mich, wann ihre Sprechstunde zu Ende ist«, sagte Milo.
Die schwarzhaarige Frau sagte im Gehen: »Falls Sie von Dr. K. reden, ziehen Sie eine Nummer. Mein Termin mit ihr sollte vor zwanzig Minuten beginnen.« Sie durchquerte das Wartezimmer zweimal, zupfte an ihrer Kopfhaut, blieb stehen, um die Zeitschriften auf einem Tisch durchzusehen. Sie entschied sich für Modern Health , blätterte das Heft durch und hielt es zusammengefaltet in der Hand, während sie weiter auf und ab ging. » Drei undzwanzig Minuten. Sie sollte besser einen Notfall haben.«
»Normalerweise ist sie ziemlich pünktlich«, sagte Milo.
Die Frau blieb stehen und drehte sich um. Ihr Gesicht war angespannt und abgehärmt zugleich. Angst stand in ihrem Blick, als hätte sie in einen Abgrund geschaut. »Sie sind keine Patienten.«
»Sind wir nicht?«, sagte Milo mit unbeschwerter Stimme.
»Nein, nein, nein, nein. Sie sehen aus wie - warum sind Sie hier?«
Er zuckte mit den Achseln, knöpfte sein Jackett auf. »Wir warten nur darauf, mit Dr. Koppel zu sprechen, Ma’a...«<
»Das können Sie aber nicht!«, rief die Frau. »Ich bin als Nächste dran! Ich muss sie sehen!«
Milo warf mir einen Blick zu. Bat um Hilfe.
»Absolut«, sagte ich. »Es ist Ihre Zeit. Wir gehen einfach und kommen später wieder.«
»Nein!«, sagte sie. »Ich meine … das müssen Sie nicht, mir gehört dieser Laden hier nicht, ich habe kein Recht dazu, derart bestimmt aufzutreten.« Sie blinzelte, um Tränen zu unterdrücken. »Ich will nur meine Zeit haben. Meine eigene Zeit, das ist nicht übertrieben narzisstisch, oder?«
»Ganz und gar nicht.«
»Mein Exmann behauptet, ich wäre unheilbar narzisstisch.«
»Exmänner«, sagte ich.
Sie starrte mich an, um festzustellen, ob ich es ernst meinte. Ich musste den Test bestanden haben, weil sie lächelte. »Sie können sich ruhig hinsetzen«, sagte sie.
Das taten wir.
Das Wartezimmer blieb weitere fünfzehn Minuten still. Während der ersten fünf Minuten las die Frau in ihrer Zeitschrift. Dann stellte sie sich als Bridget vor. Wandte den Blick wieder den Seiten zu, aber sie war nicht mit ganzem Herzen dabei. Eine Ader pulsierte so auffällig an ihrer Schläfe, dass ich es quer durch das Wartezimmer sehen konnte. Pulsierte rasend. Ihre Hände krampften sich um die Zeitschrift und entspannten sich wieder, ihr Kopf schnellte von dem Heft zu den roten Lämpchen. Schließlich rief sie: »Ich verstehe das nicht!«
»Rufen wir sie an«, sagte ich. »Ihr Telefonservice wird drangehen, und vielleicht kann der uns sagen, ob sie zu einem Notfall gerufen wurde.«
»Ja«, erwiderte Bridget. »Ja, das ist eine gute Idee.« Milo zog sein Mobiltelefon hervor, Bridget rasselte die Nummer heraus, und er tippte sie ein. Was für ein Team.
»Dr. Koppel, bitte«, sagte er. »Mr. Sturgis, sie kennt mich … wie bitte? Sind Sie sicher? Weil ich direkt hier im Wartezimmer sitze, und ihr rotes Lämpchen leuchtet …«
Er beendete das Gespräch.
»Was ist los?«, fragte Bridget.
»Ihr Telefonservice sagt, sie hätte sich heute Morgen nicht wie üblich gemeldet, und sie haben keine Ahnung, wo sie ist. Sie hatte zwei frühe Patienten vor ihrem Interview im Radio, und deren Termine hat sie auch nicht wahrgenommen.«
Bridget schrie: »Verdammt! Das ist beschissen narzisstisch!«
Sie packte ihre Handtasche, stürmte zur Tür, riss sie auf und knallte sie hinter sich zu. Das Schweigen, das sie hinterließ, war säuerlich.
»Ich glaube«, sagte Milo, »dass ich meinen Job deinem vorziehe.«
Fünf Minuten später klopfte er an die Tür, die zu den
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