Im Sog der Angst
Sprechzimmern führte. Eine gedämpfte Männerstimme sagte etwas, das sich wie »Einen Moment!« anhörte, und die Tür öffnete sich einen Spalt. Die Augen, die uns anschauten, waren hellbraun und hinter einer oktogonalen Bifokalbrille schräg gestellt. Analytisch. Nicht amüsiert.
»Was ist los?« Eine angenehme Stimme mit einem leichten skandinavischen Akzent. Was ich von seinem Gesicht sehen konnte, war glatt und gerötet, das Kinn verschmolz mit weichem Fleisch. Ein von einem kurz geschnittenen graublonden Spitzbart bedecktes Kinn. In der Mitte des Barts saß ein verkniffener, schmaler Mund.
»Polizei«, sagte Milo. »Wir suchen nach Dr. Koppel.«
»Polizei? Deshalb klopfen Sie an die Tür?« Eine gelassene Stimme - fast amüsiert, trotz der Verärgerung.
»Sie sind...«<
»Dr. Larsen. Ich bin mitten in einer Sitzung mit einem Patienten und hätte gerne, dass Sie gehen. Warum suchen Sie nach Mary Lou?«
»Darüber würde ich lieber nicht reden, Sir.«
Albin Larsen blinzelte. »Wie Sie wollen.« Er begann die Tür zu schließen. Milo hielt sie fest.
»Officer …« »Ihr Lämpchen leuchtet«, sagte Milo, »aber sie ist nicht in ihrem Zimmer.«
Die Tür öffnete sich weit, und Larsen kam heraus. Er war eins achtzig groß, Mitte fünfzig, besaß ein Polster von zusätzlichen sieben Kilogramm und trug seine allmählich weiß werdenden Haare in einem längeren Bürstenschnitt. Eine grüne, handgehäkelte, ärmellose Weste lag glatt über einem hellblauen Hemd mit Button-down-Kragen. Seine Khakihose war akkurat gebügelt, seine braunen Schuhe waren auf Hochglanz poliert.
Er nahm sich einen Moment Zeit, uns von oben bis unten zu mustern. »Nicht in ihrem Zimmer? Woher wollen Sie das wissen?«
Milo fasste sein Gespräch mit der Frau vom Telefonservice zusammen.
»Ah«, sagte Larsen. Er lächelte. »Das hat nichts zu bedeuten. Dr. Koppel könnte wegen eines akuten Krisenfalls in die Praxis gerufen worden sein und einfach vergessen haben, ihrem Telefonservice Bescheid zu sagen.«
»Ein Krisenfall hier in der Praxis?«
»Unser Beruf hat eine hohe Krisenrate.«
»Passiert das öfter?«
»Oft genug«, erwiderte Larsen. »Und jetzt schlage ich vor, dass Sie am besten Ihre Karte hier lassen, und ich werde dafür sorgen …«
»Haben Sie sie heute gesehen, Dr. Larsen?«
»Das wäre kaum möglich gewesen. Ich bin seit acht Uhr heute Morgen voll ausgebucht. Franco - Dr. Gull ebenfalls. Wir haben alle sehr volle Terminkalender und versuchen, unsere Patienten so zu bestellen, dass es nicht zu einem Stau im Wartezimmer kommt.« Larsen zupfte an seinem Hemdsärmel und legte eine alte, rotgoldene Rolex frei. »Mein nächster Termin ist in zehn Minuten, und ich habe noch einen Patienten in meinem Zimmer sitzen, was in höchstem Maße ungerechtfertigt und unprofessionell ist. Also lassen Sie bitte Ihre Karte hier, und …«
»Warum sehen Sie nicht nach, ob Dr. Koppel in ihrem Zimmer ist?«, sagte Milo.
Albin Larsen begann seine Arme vor der Brust zu verschränken, unterbrach sich aber dabei. »Das wäre unangemessen.«
»Andernfalls werden wir leider hier in diesem Zimmer warten müssen, Dr. Larsen.«
Larsens verkniffener Mund wurde noch kleiner. »Ich glaube, wenn Sie einen Moment nachdenken, Sir, werden Sie feststellen, dass Sie sich nicht sehr geschickt verhalten.«
»Ohne Zweifel«, erwiderte Milo. Er setzte sich und nahm die Ausgabe von Modern Health in die Hand, die die Frau mit dem Gesichtspeeling abgelegt hatte.
Larsen wandte sich mir zu, als hoffe er auf eine Stimme der Vernunft. Ich sah auf den Teppichboden.
»Also gut«, sagte er. »Ich werde nachsehen.«
Er trat zurück in den inneren Flur und schloss die Tür. Sekunden später kam er mit ausdruckslosem Gesicht wieder zurück.
»Sie ist nicht da. Das begreife ich nicht, bin jedoch sicher, dass es dafür eine Erklärung gibt. Jetzt muss ich wirklich zu meinem Patienten zurück. Falls Sie darauf bestehen, hier zu bleiben, erregen Sie bitte kein Aufsehen.«
15
»Das ist genau das«, sagte Milo, »was ich einen Psychofritzen nenne. Unerschütterlich, mit einer angenehmen Stimme, alles analysierend.«
»Ich erfülle die Bedingungen nicht?«
»Du, mein Freund, bist eine Anomalie.«
»Zu leicht zu erschüttern?«
»Zu verdammt menschlich. Fahren wir zu Dr. K. nach Hause. Hast du Zeit?«
»Klar«, sagte ich. »Sehen wir mal, wie die richtigen Psychofritzen wohnen.«
Das Straßenverkehrsamt hatte für Mary Lou Koppel eine Adresse auf dem McConnell
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