Im Sog der Sinnlichkeit
nach Benedick, ohne ihn zu entdecken. Nur die mit Staub und Sand bedeckten Satansmönche knieten immer noch wie versteinert im Halbkreis vor dem Altar, hinter dem sich ein Berg Geröll auftürmte. Nacktes Entsetzen krallte sich um ihr Herz, schnürte ihr die Kehle zu. Er war tot, unter den Schuttmassen begraben.
Und dann nahm sie eine Bewegung wahr und wandte den Kopf. Benedick richtete sich vom Altar auf, kam auf die Füße, über und über mit Dreck und Staub bedeckt, schüttelte sich und beugte sich über Betsey. Er hatte sich auf sie geworfen, war in letzter Sekunde losgestürmt, um das unschuldige Kind zu retten, das ihm, wie er behauptet hatte, nichts bedeutete. Tränen brannten Melisande in den Augen.
Ihr Blick irrte bang umher auf der Suche nach Harry Merten. Keine Spur von ihm. Und dann entdeckte sie verrenkte Beine, halb verschüttet unter dem Geröllberg. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer Brust. Es war vorbei.
Mit zitternden Knien trat sie an den Altar, um die immer noch schlafende Betsey von ihren Fesseln zu befreien, und blickte nach oben in einen sternenübersäten Nachthimmel. Eine schwangere junge Frau beugte sich vor und spähte in die Tiefe. „Ist alles in Ordnung da unten?“
Benedick blickte Melisande einen langen stummen Moment an, dann trat er an die Einsturzstelle und spähte nach oben. „Ein wirkungsvoller Auftritt, Schwesterherz“, rief er ihr kaum erschüttert zu. „Deus ex machina, wie auf der Bühne, im wahrsten Sinne des Wortes.“
„Wir konnten doch nicht ahnen, dass ihr euch direkt darunter aufhaltet, Neddie“, antwortete die Frau entschuldigend. „Ist jemand verletzt?“
„Nur die, die es verdient haben. Harry Merton ist tot.“
Miranda entfuhr ein spitzer Schrei. „Oh Gott, nein!“
„Gott sei Dank, ja. Er ist der Großmeister.“ Er trat näher an den Geröllhaufen heran. „Wo ist Lucien? Die Frauen müssen rasch nach oben gebracht werden, und der Gang zu den Stufen wurde durch die Explosion verschüttet.“
Seine Schwester verschwand, Benedick trat an den Altar, schob Melisande mit sanften Händen beiseite und löste Betseys Fesseln. Ohne weiter auf Melisande zu achten, hob er das Kind auf die Arme und trug es zur Einsturzstelle, an der eine Leiter heruntergelassen worden war. Er stieg mit der betäubten Betsey über der Schulter die ersten Sprossen hinauf und reichte sie an hilfreich entgegengestreckte Händen weiter. Erst dann wandte er sich Melisande zu.
Sie hob das Kinn. „Was wirst du gegen die Satansmönche unternehmen?“
„Überlass das uns Männern. Du musst dich nicht für alles verantwortlich fühlen.“ Er streckte ihr die Hand entgegen. „Kommst du?“
„Vielleicht sollte ich hier unten bei diesen Wüstlingen und der Leiche bleiben“, entgegnete sie sarkastisch in aufflammendem Zorn, übersah geflissentlich seine Hand und erklomm die Leiter. Erst nach einigen Sprossen bemerkte sie, dass er direkt hinter ihr und sie unter der Mönchskutte völlig nackt war.
Was kümmert’s mich! dachte sie trotzig. Damit bot sie ihm wenigstens etwas, woran er sich erinnern konnte.
Starke schwielige Hände griffen nach ihr und zogen sie an die Oberfläche. Im fahlen Schein des Vollmonds sah sie sich umringt von verwegenen Männergestalten, die aussahen wie eine Räuberbande. Die schwangere Frau hielt Betsey in eine Decke gehüllt in den Armen und redete leise tröstend auf das verschlafen blinzelnde Kind ein. Melisande stand ratlos herum und kam sich irgendwie überflüssig vor.
„Lady Carstairs?“, ertönte eine tiefe melodische Männerstimme neben ihr, und sie blickte in das vernarbte Gesicht eines einst gut aussehenden Mannes. Er stützte sich auf einen Stock, und sie glaubte zu wissen, wer er war.
„Mr Brandon Rohan?“, fragte sie.
Er schüttelte sich. „Großer Gott, nein! Wobei ich gestehe, dass eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns besteht, dank unserer Narben. Nein, in meinen Adern fließt nicht das wilde Blut der Rohans. Nur in meinen Kindern. Ich bin Rochdale, und diese schwangere Dame ist meine Gemahlin, die einzige weibliche Rohan. Gestatten Sie mir, Sie zu meiner Kutsche zu begleiten …“
„Nimm deine Hände von ihr, Skorpion!“, warnte Benedick, der aus dem Erdloch gestiegen war, drohend.
Der Mann lächelte gewinnend. „Ich habe sie nicht angefasst, alter Griesgram. Außerdem dachte ich, dir liegt nichts an ihr.“
„Ich …“ Seine Stimme verlor sich, und Melisande wurde kalt ums Herz.
Sie wandte sich
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