Im Sog Des Boesen
nicht fassen. Warum hat sie das getan? Ich konnte Helen wirklich gut leiden.«
»Meine Beziehung mit Lucas begann, als ein kleines Mädchen ihm in den Hals schoss«, erzählte Weather. »Ich hab ihm das Leben gerettet. Seitdem reden wir über seine Fälle, und ich kann dir sagen, da passieren wirklich die verrücktesten Dinge. Lucas hat mal einen Mann verhaftet, der sich
Geld vom Nachbarn geliehen und ihn dann umgebracht hat, damit er es ihm nicht zurückgeben musste - zweihundertzwanzig Dollar für die Reparatur seines Schneepflugs. Dafür hat er ihn ermordet.«
»Das ist mehr als verrückt«, sagte Alyssa.
Weather wandte sich einem anderen Thema zu. »Es bleibt bei der Trauerfeier am Samstag?«
»Ja. Am Samstagvormittag. Ich begreife nur nicht …«
»Sie ist jetzt im Himmel, Alyssa. Mach dir keine Gedanken.«
Alyssas Kinn begann zu zittern, und sie holte ein frisches Taschentuch aus der Box. »Ich glaube nicht an den Himmel. Sie ist aus diesem Körper in den nächsten Daseinszustand entlassen worden; hoffentlich hat sie einen guten spirituellen Begleiter gefunden. Vielleicht ihren Vater, falls der noch nicht wiedergeboren wurde. Sie war ein anständiges Mädchen, hat sich um die Menschen gekümmert. Ihr Karma und ihre Energie werden sie auf eine höhere Stufe bringen.« Sie schniefte.
»Hm.«
Alyssa lächelte. »Ich kann einfach nicht so denken wie ihr guten Christen. Möglicherweise hat sich ihr Geist noch irgendwo da draußen herumgetrieben und auf Rache gesonnen. Auf Helen wäre ich nun wirklich nicht gekommen. Besteht kein Zweifel?«
»Lucas hat eine ausführliche Aussage, die offenbar durch den Bericht eines unabhängigen Labors bestätigt wird.«
»Ich war mir so sicher, dass die anderen drei mit dem Fall zu tun haben … Da war diese negative Energie, dieses dunkle Karma.« Alyssas Tonfall hatte sich verändert. Weather war verblüfft über ihren Gesichtsausdruck.
»Ich habe einen Freund, Loren, der sich auf der Vorstufe zur nächsten Ebene aufhält. Er sagt, Boote bringen unsere Seelen ins nächste Leben. Manche sind wunderschön, andere
dunkel und feucht wie Sklavenschiffe, die den Mississippi hinuntergleiten. Sie nehmen nachts Passagiere auf, am Ufer in St. Paul … Oh, Mist.«
Sie begann wieder zu weinen und wippte auf ihrem Sessel vor und zurück. Weather stand auf, setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. Kurz darauf gesellte sich Lucas zu ihnen.
»Was wir heute herausgefunden haben, ist gut«, tröstete er sie.
»Ich weiß«, erwiderte Alyssa. »Aber die Sache mit Helen und Ricky tut mir leid.«
»Soll ich deine Eltern anrufen?«, fragte Lucas.
»Nein, nein, es geht schon. Gott sei Dank ist alles vorbei. Ich denke, ich werde jetzt raufgehen, ein paar Tabletten schlucken und zur Abwechslung mal eine Nacht durchschlafen. Mein Gott, bin ich müde.«
Im Wagen fragte Lucas: »Und?«
Weather blickte eine ganze Weile schweigend zum Fenster auf der Beifahrerseite hinaus, und sagte dann: »Ich kann dein ungutes Gefühl bestätigen. Sie glaubt, die anderen drei hätten schlechtes Karma gehabt, das auf eine Verbindung zu dem Mord an Frances hinweist. Ein Freund von ihr ist offenbar der gleichen Meinung. Wenn das stimmt und die beiden Rache üben wollten …«
»Rache ist durchaus ein mögliches Motiv«, bemerkte Lucas.
»Sie sagt, dieser Freund, ein gewisser Loren, behauptet, es gebe Boote, die die Seelen den Mississippi hinuntertransportieren, manche wunderschön, andere eher Sklavenschiffe - die sind wohl für die schlechten Seelen. Sie meint, Frances könnte noch hier sein, allerdings auf einer anderen Ebene, noch nicht auf dem Boot.«
»Ihr Freund heißt Loren?«, unterbrach Lucas sie.
»Ja.«
»Loren ist tot.« Lucas erklärte Weather alles mit wenigen Worten.
»Sie sagt, er hält sich in einer anderen Sphäre auf, die sich mit der des Todes überschneidet. Angeblich sieht er die Boote.«
»Alyssa hat offenbar ein Problem«, sagte Lucas. »Wenn ich das nur beweisen könnte.«
FÜNFUNDZWANZIG
A lyssa schlief nie gut, nicht einmal dann, wenn nur eine ihrer Persönlichkeiten präsent war. Und fanden sich beide und dazu noch der Geist im Spiegel ein, wurden die Nächte zum Alptraum. Ihr war abwechselnd heiß und kalt, und sie kämpfte mit dem einmal zu harten, dann zu weichen, dann zu warmen Kissen, das sie immer wieder umdrehte, obwohl die angenehme Kühle nur kurz anhielt. Alle paar Minuten wachte sie auf und sah auf die Uhr, deren Zeiger sich im Schneckentempo
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