Im Sog Des Boesen
Schnurrbart und eine Sonnenbrille, das hätte mich eigentlich stutzig machen sollen …« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Im Notarztwagen hab ich übrigens bei Alyssa Austin angerufen. Sie war zu Hause.«
»Also ist sie nicht die Fairy«, stellte Anson fest.
»Möglicherweise doch, aber dann wäre die Frau auf der Straße hinter dem A1 nicht die Fairy gewesen. Keine Ahnung, wer sie sonst sein könnte oder warum jemand auf mich schießen sollte. Und noch eins: Vielleicht war der Schnurrbart nur angeklebt. Irgendwie sah der komisch aus.«
Anson, der bereits von der Festnahme Antsys gehört hatte, fragte, ob der Schütze Litauer sein könne. Doch woher sollten Antsys Kumpel wissen, dass Lucas ins A1 wollte?
»Vielleicht hat einer der Goths den Schützen informiert, als ich reinkam, oder mich für dich gehalten«, mutmaßte Lucas. »Du hast ja mit einer ganzen Menge Leute geredet … Lass es ab jetzt ein bisschen ruhiger angehen.«
»Ich denk drüber nach«, erwiderte Anson.
»Hast du auf der Straße irgendwas gefunden?«
»Keine ausgeworfenen Patronenhülsen, was bedeutet, dass der Typ einen Revolver benutzt hat, einen A.38. Drei Kugeln haben wir gefunden, zwei davon ziemlich üble Abpraller - er scheint tief gezielt zu haben. Mindestens ein Einschussloch befindet sich ungefähr dort, wo deine Füße waren. Das dritte Geschoss ging ins Holz in einer Ecke der Tür. Es ist kaum verformt, ließe sich also leicht mit der Munition der Waffe vergleichen, wenn wir die aufspüren.«
»Wunderbar.«
»Und es gibt einen Zeugen«, berichtete Anson. »Einen Typ, der auf dem Heimweg ein Sandwich gegessen hat. Der hat die Schüsse gehört, zurückgeschaut und zwei Menschen rennen sehen, einer groß, der andere eher klein, einen Mann
und eine Frau. Das deckt sich mit deinen Aussagen. Ihr Fahrzeug hat er auch gesehen, einen Pick-up. Die Marke weiß er allerdings nicht.«
»Ist ja schon mal was«, sagte Lucas.
Als Anson weg war, fragte Weather: »Antsy Toms? Was hat der damit zu tun?«
Doch Lucas’ Gedanken drehten sich um die Schießerei. Der Schütze war zu weit weg gewesen, um ein gutes Ziel zu sein, etwa zwanzig Meter. Lucas ließ noch einmal Revue passieren, wie er abdrückte.
Lucas versuchte zu rekonstruieren, wie viele Schüsse er abgegeben hatte. Soweit er sich erinnerte, war sechs Mal auf ihn geschossen worden, darunter ein offenbar eher zufälliger Treffer. Was bedeutete, dass der Schütze ein Amateur, nervös, ängstlich, vielleicht auch verzweifelt gewesen war.
Wieso?
»Antsy Toms«, wiederholte Weather. »Ist das nicht der Typ, der die Cops verprügelt hat?«
Seine Chefin Rose Marie Roux besuchte ihn. »Mein Gott, Lucas, Sie sollen doch die Aktion leiten und sich nicht in irgendwelchen dunklen Gassen anschießen lassen. Diese Tage sind vorbei.«
»War keine Absicht.«
»Und was hatten Sie dort verloren?«
»Ich hab gearbeitet. So schlimm ist die Sache auch wieder nicht - da hab ich mir beim Werkeln daheim schon schlimmere Verletzungen zugezogen.«
Der Adlatus des Gouverneurs meldete sich, Lucas’ Sekretärin Carol rief mit tränenerstickter Stimme an, Del kam vorbei, und schließlich fragte auch noch der Gouverneur höchstpersönlich nach Lucas’ Wohlbefinden.
Del wollte eigentlich die Einschusswunde sehen, gab sich dann jedoch mit einem Blick auf den Bluterguss zufrieden.
»Scheußlich. Weißt du noch, wie Gutmann damals durch beide Pobacken geschossen wurde?«
Alyssa Austin rief an und erkundigte sich, ob sie Lucas besuchen dürfe, doch er sagte, er sei zu müde.
Lucas verbrachte den größten Teil des Tages mit Fernsehen und Zeitunglesen. In allen Abendnachrichten waren Fotos von ihm zu sehen - zwei Sender wählten seine Geschichte sogar als Top-News. Er versuchte, über den Fall nachzudenken, döste aber immer wieder ein. Auch das Phantombild der Fairy wurde mit dem Hinweis gezeigt, dass sie vermutlich zum Täterkreis gehöre. Ein Goth, der am Tatort hinter dem A1 interviewt wurde, beschrieb sie als sehr attraktiv, und der Berichterstatter bezeichnete sie als »mysteriöse Schönheit mit rabenschwarzen Haaren«.
Weather überwachte seinen Genesungsprozess. Manchmal, wenn ihr Stuhl leer blieb, schloss er kurz die Augen, und wenn er sie aufmachte, saß sie wieder da.
Nach einer zweiten praktisch schlaflosen Nacht schaute sich der Arzt die Wunde am Ende seiner Schicht noch einmal an und gab grünes Licht für Lucas’ baldige Heimkehr. Die Stiche waren in einen etwa handtellergroßen
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