Im Sommer sterben (German Edition)
mindestens dreimal, ob sie nicht zugenommen habe. Dabei hob sie jedes Mal das T-Shirt bis zum Nabel, und alle mussten sagen, dass ihr Bauch schön braun, aber nicht dicker geworden war. Die Mädchen tuschelten unter sich und schickten in immer kürzer werdenden Abständen SMSNachrichten in die warme Sommernacht hinaus.
Der Montagmorgen verging schleppend und ereignislos. Die Hälfte der Leute war in den Ferien, die andere Hälfte hatte nichts zu berichten. Wenigstens nichts Aufregendes. Es war einfach nicht normal, dass in dieser Phase der Ermittlungen nichts lief. Auch Koblers Anruf, der normalerweise gegen halb zwölf erfolgte, blieb aus. Eschenbach fiel ein, dass sie für ein paar Tage in den Urlaub gefahren war. Hatte sie Südfrankreich gesagt? Oder französische Atlantikküste? Er wusste es nicht mehr, es war ihm auch egal. Er war sicher, dass Rosa Mazzoleni es wusste, nur so für den Notfall. Vielleicht hatte sie es sogar selbst organisiert.
Er überlegte sich, ob er Lenz anrufen und sich nach dem Stand seiner Recherchen erkundigen sollte. Lenz würde ihn dafür hassen, das war ihm klar. Er sei fertig, wenn er fertig sei, würde Lenz sagen. Und wenn er Jagmetti anpiepsen und für einen Zwischenbericht zu sich beordern ließe, würde ihm Lenz womöglich die Freundschaft kündigen. Also ließ er es bleiben.
Der Kommissar stand auf und verließ sein Büro. »Haben wir was Neues von Hottiger?«, fragte er Rosa Mazzoleni. Er sah sich ein paar der Ansichtskarten an, die an der Stellwand im Sekretariat hingen. »Ich meine, ist etwas hereingekommen heute Morgen?«
»Sie fragen mich das jetzt schon zum dritten Mal.« Rosa sah auf die Uhr. »Und das innerhalb von zwei Stunden.«
»Und von der Zollbehörde … ich meine, hat da jemand angerufen?«
»Nein, Zoll auch nicht.« Rosa Mazzoleni klappte genervt den Ordner auf ihrem Tisch zu. »Kein Fax, kein Anruf, kein gar nichts! Nur der übliche Bürokram.«
»Nichts also«, brummelte Eschenbach.
»Herrgott! Es ist Montag und Sommerferien … ist das denn so ungewöhnlich?«
Der Kommissar grunzte und hob eine Ansichtskarte auf, die ihm zu Boden gefallen war. »Offenbar die einzige Post, die wir bekommen«, murrte er. Dann legte er die Karte auf den Schreibtisch von Rosa Mazzoleni und ging wortlos zurück ins Büro.
Schon seit Tagen lief die Großfahndung nach Doris Hottiger; die Grenzschutzpolizei hatte ihre Kontrollen verschärft; und was den Vater des Mädchens betraf, hatte Eschenbach angeordnet, die Passagierlisten der Atlantikflüge laufend zu überprüfen. Wenn Ernst Hottiger in die Schweiz käme, würde er es sofort erfahren. Und wenn nicht aufgrund der Einreise, dann deshalb, weil er Hottigers Haus am Sihlsee durch eine Videokamera überwachen ließ.
Der Kommissar hatte sich auf alles eingestellt: auf einen Blitzeinsatz, gefolgt von stundenlangen Verhören; auf Anwälte, die sich schützend vor Hottiger – Vater oder Tochter – stellen würden oder auf einen Rüffel von Regierungsrätin Sacher. Alles wäre ihm recht gewesen.
Dass dieser gottverdammte Montag einfach so an ihm vorbeitrödeln würde, damit hatte er nicht gerechnet.
Auf den Postberg, der sich im Eingangskorb stapelte, hatte er keine Lust. Er hatte ihn flüchtig durchgesehen, und es war nichts dabei, das ihn auch nur ein kleines Stückchen weitergebracht hätte.
Eschenbach wollte gerade zur Tür gehen, als Rosa Mazzolenis Stimme durch die Gegensprechanlage scherbelte.
»Basel in der Leitung, haben Sie umgestellt?«
»Ich wollte gerade …« Eschenbach nahm den Hörer und setzte sich wieder.
Eine Viertelstunde später, nachdem er mit Kommissar Dirk Meidinger von der Basler Kripo telefoniert hatte, war Eschenbach ein anderer Mensch. Der Jäger hatte das Wild, von dem er wusste, dass es da war, wieder entdeckt. Und seine Gedanken, nach ereignislosem Warten das Gewehr gegen Suppengeschirr zu tauschen, waren verflogen.
Sie hatten bei dem Toten in Basel kinderpornographisches Material gefunden. In einem versteckten Fach, hinter den Weinflaschen im Keller. Bilder, ein Adressbuch und mehrere Videos.
Eschenbach fühlte, wie es in ihm jubelte. Gewiss, es war schöner, Troja zu entdecken oder eine bisher unbekannte Grabkammer im Tal der Könige. Auch einen verloren geglaubten Schlüsselbund; jeder Fund war schöner als das, worüber er sich gerade freute.
Wie oft war in den über zwanzig Jahren, in denen er Polizist war, der erste Gedanke der richtige gewesen. Als er das erste Mal vom Basler
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