Im Sommer sterben (German Edition)
Zeit …«
»Das ist kein Problem. Ich habe Zeit. Wenn es sein muss bis morgen früh.«
Beide sahen ihn an, als käme er von einem anderen Stern.
»Ihre Zeit wird natürlich als doppelte Überzeit gutgeschrieben.« Freiwillig tat das hier niemand.
»Darum geht es gar nicht«, warf der Jüngere der beiden ein, der bisher noch nichts gesagt hatte. »Ich meine, wir haben den halben Keller voll mit solchem Schweinkram, und bis jetzt hat sich niemand dafür interessiert. Beschlagnahmtes Material aus Hausdurchsuchungen und Razzien in Sexshops. Die schleppen das Zeugs kistenweise zu uns herunter. Sie sind der Erste von denen da oben, der mal herunterkommt, sich das auch ansieht und uns sagt, was wir damit anfangen sollen.«
Eschenbach wusste nicht, wie er darauf hätte antworten sollen. Er dachte daran, dass die Operation Genesis noch gar nicht begonnen hatte, und dass dies erst ein ganz kleiner Anfang war. Plötzlich taten ihm die Männer Leid, die, ohne es zu wissen, bald zu den Hütern der größten Kinderporno-Müllhalde der Schweiz werden würden.
»Packen wir’s an, Jungs!«, sagte der Kommissar und schlug mit der flachen Hand auf den hellgrauen Tisch. »Sagt mir, wie ich euch helfen kann. Auf geht’s!«
Die beiden Techniker sahen sich kurz an und standen auf. Eschenbach glaubte, eine gewisse Erleichterung auf ihren bleichen Gesichtern entdeckt zu haben. Irgendwie waren sie alle froh, dass sie jetzt eine Aufgabe hatten und ein gemeinsames Ziel.
Als Eschenbach um halb fünf nach Hause kam, saß Corina, nur mit einem leichten Nachthemd bekleidet, auf der Terrasse im Dunkeln. Während er in der Küche Licht machte, um sich ein Glas Wasser zu nehmen, wandte sie den Kopf und sah ihn an, ohne etwas zu sagen. Er löschte das Licht, ging hinaus und setzte sich neben sie.
»Sag mal, spinnst du? Weißt du, wo ich überall angerufen habe? Bei Christian, bei Gabriel – im Schafskopf und privat, im Präsidium, im Zeughauskeller … ach weiß ich, wo überall noch.« Es sprudelte nur so aus ihr heraus, und Eschenbach fiel auf, wie lange sie sprechen konnte, ohne Luft zu holen. »Kein Schwein weiß, wo du bist! Das Handy hast du auch nicht eingeschaltet …«
Er ahnte, was jetzt kommen würde, und schwieg. Das Wasser, das er trank, schmeckte schal. Leitungswasser. Er hatte kürzlich einen Bericht über die hervorragende Qualität des Zürcher Wassers gelesen. Man könne auf teures Mineralwasser getrost verzichten, war das einhellige Fazit des Autorenpaars gewesen, von denen der eine der Stadtchemiker war. In puncto Mineraliengehalt weise das Stadtzürcher Wasser sogar ein deutliches Plus gegenüber den meisten Mineralwassern auf, hieß es. Er hatte sich gefragt, ob in den Restaurants nun gekühltes Leitungswasser angeboten würde – zu demselben Preis wie Perrier oder Walserwasser. Oder ob diejenigen, die das schon taten, es fortan mit einem besseren Gewissen tun würden. Eschenbach wusste nicht, warum ihm das jetzt alles durchs Hirn schoss, und warum ihm das Wasser nicht schmeckte.
Corina hatte ihren angefangenen Satz nicht beendet. Sie sah Eschenbach an, sah, dass ihm nicht nach Streiten zumute war. Die Frage, ob er eine Geliebte habe, wollte sie nicht mehr stellen. Keine Geliebte der Welt würde einen Mann so traurig nach Hause schicken. Überhaupt war die Geschichte mit der Geliebten nur ein Vorwand, eine Szenerie, hinter der sie ihre Angst um ihn verbarg. Sie kam sich plötzlich kindisch vor.
»Wir haben die Kinderpornos gefunden.« Er sprach leise, fast mechanisch ins Halbdunkel »Und noch Abzüge gemacht. Vielleicht haben wir Glück.«
»Willst du darüber reden?«, fragte Corina, die sich erhoben und rittlings auf seinen Beinen Platz genommen hatte.
»Morgen vielleicht«, murmelte er müde. Dann goss er den Rest aus seinem Wasserglas in den Topf mit dem Basilikum.
»Es ist schon morgen«, flüsterte sie an seinem Hals, und sie hielten einander noch eine ganze Weile fest umschlungen.
Der beißende Rauch der Brissago hielt ihn davon ab, seine Augen ganz zu schließen. Er las in Lenzens Bericht. Ab und zu liefen ihm seine Gedanken davon, und er wusste nicht, ob er die Seite, die gerade aufgeschlagen vor ihm lag, schon gelesen hatte oder nicht.
Er sehe schlecht aus, hatte Rosa Mazzoleni zu Bedenken gegeben. Obwohl, so direkt gesagt hatte sie es ihm nicht. Eher indirekt, und das war im Grunde genommen schlimmer. Ob er letzte Nacht noch lang gearbeitet habe, hatte sie gefragt, wobei sie ihren Blick besorgt
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