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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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entgegen.
    »Eine letzte Frage noch.« Er sagte das, während sie sich die Hände gaben. »Wissen Sie, weshalb ihn Eveline Marchand so plötzlich verließ?«
    »Ja, sie bekam ein Kind.«
    Eschenbach stockte: »Von ihm?«, wollte er wissen.
    »Nein.«
    »Sind Sie sicher?« Eschenbach ließ ihre Hand nicht los. Er hielt sie, als hänge die Information daran, die er so dringend benötigte.
    »Ja. Damals, nachdem er das mit dem Kind rausbekommen hatte, gab es einen Streit ums Sorgerecht. Nur kurz, denn der Vaterschaftstest verlief nicht zu seinen Gunsten.« Sie sah auf seine Hand, die ihre umklammerte. Erst als er sie losließ, sprach sie weiter. »Zuerst war er wütend, wollte wissen, wessen Kuckucksei es war. Aber schon kurz darauf interessierte es ihn nicht mehr.«
    »Und wissen Sie wer …«, hakte Eschenbach nach, während sie beide zur Tür gingen.
    »Keine Ahnung, Herr Kommissar. Aber Sie werden es sicher herausfinden.«
    Als sie draußen im Flur standen, gaben sie sich nochmals die Hand, wortlos, wie alte Freunde. Dann ging Eschenbach nachdenklich die langen weißen Wände entlang zum Lift. Irgendwie fand er, dass sie Recht hatte. Zu viel Weiß würde auch ihn krank machen.

26
    Das Gewitter, das sich zusammenbraute, wollte sich partout nicht entladen. Eine Drohgebärde der Natur, dachte Eschenbach. Dunkle Wolken waren aufgezogen und Wind, der die Sträucher entlang der Zuggleise flach legte.
    Als er in Zürich ankam, war wieder schönstes Sommerwetter. Die ersten Abendpendler flogen den Zügen zu, die sie pünktlich und sicher zu ihren Familien in die Vororte brachten. Es erinnerte Eschenbach an Viehtransport, und er war froh, dass er zu Fuß zur Arbeit gehen konnte.
    Er liebte die Bahn, sofern er gegen den Strom in halb leeren Abteilen reisen konnte. Das rhythmische Rattern der Waggonräder, wenn Stahl auf Stahl rieb und Tonnen von Eisen über filigrane Gleise dahinstoben; all das regte ihn an. Meist zum Denken – und manchmal zum Schlafen. Beides war ihm recht.
    Er hatte die Berichte gelesen, die ihm Rania Oberholzer mitgegeben hatte. Das erste Gutachten stammte von einem Privatdozenten Dr. Eberhard Meierhans, seinerzeit stellvertretender Leiter der Psychiatrie der Universität Basel. Das zweite von einem Prof. Dr. Max Zogg, ehemaliger Chefarzt für Psychiatrie am Universitätsspital Zürich. Beide stimmten in den wesentlichen Grundzügen überein, obwohl das Zürcher Exemplar wesentlich kürzer und prägnanter gefasst war. Vielleicht gehört es zum Privileg eines Chefs, sich kurz halten zu dürfen. Vielleicht lag es auch einfach nur am Namen, dachte Eschenbach. Wer Zogg hieß, konnte nicht langatmig sein.
    Wenn man den Ärzten glauben wollte, war Philipp Bettlach eine »emotional instabile Persönlichkeit mit narzisstischen Tendenzen und einer larvierten bipolaren Störung, ausgelöst durch eine dissoziale Entwicklung verbunden mit sexuellen Störungen, basierend auf einer disharmonischen psycho-sexuellen Entwicklung« .
    Irgendwie traf es das, was auch Eschenbach von ihm dachte. Nichtvorhandensein eigener Identität. Suche nach Extremerlebnissen – meist ausgelebt im sexuellen Bereich. Taub in der Seele? War es das?
    Am Samstag, als Corina und Kathrin gegen Mittag vom Engadin zurückkamen, standen ein neues Basilikum, ein neuer Rosmarin und eine neue Blumenschale auf der Terrasse. Eschenbach wässerte gerade die Steinplatten und seine Füße. Die letzten Krümel frischer Erde, Zeugen seiner morgendlichen Umtopfaktion, hüpften vor dem Wasserstrahl davon.
    Unter den zwei aufgespannten Sonnenschirmen aßen sie Kuchen und tranken Kaffee. Von den neuen Kräutern und den frisch gepflanzten Blumen war nicht die Rede. Von den alten, die er hatte verdorren lassen – und die in einem verschnürten Müllsack unten in der Tonne lagen, auch nicht.
    Kathrin erzählte vom Engadin. Dass das ewige Weiß auf den Berggipfeln wegen der Hitze braun geworden wäre und man größere Felsabstürze zu befürchten habe.
    Corina meinte, die einzigen Abstürze, die sie zu befürchten hatte, wären jene von Kathrin gewesen.
    »Disco bis halb vier – und das alles noch im Wachstum«, sagte sie.
    »Ich bin eh schon größer als du, Mama«, kam es mit vollem Mund zurück.
    »Länger vielleicht. Mit Größe hat das nichts zu tun«, entgegnete Corina und stibitzte ein Stück Kuchen von Kathrins Teller.
    »Mann! Du hast doch selbst welchen«, beschwerte sich Kathrin und zog ihren Teller näher zu sich heran. »Du weißt, dass ich das

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