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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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weiter.
    »Wie seid ihr eigentlich zu den Unterlagen gekommen?«, wollte der Kommissar wissen.
    Jagmetti zuckte nur mit den Schultern. »Hat er mir nicht verraten. Ehrlich gesagt, ich habe mich auch nicht getraut, ihn zu fragen. Irgendwie schafft er es, in die entsprechenden Datenbanken reinzukommen. Ist ziemlich ausgebufft, der Alte, hätte ich nie gedacht. Gewisse Dokumente sind uns auch gefaxt worden.« Jagmetti überlegte einen Moment, bevor er weitersprach. »Obwohl, im Rahmen einer Strafuntersuchung sind wir ja durchaus befugt und sollten ohne weiteres an die Dokumente herankommen.«
    »Um Gottes willen, ja.« Eschenbach verdrehte die Augen. »Alles legal, Jagmetti. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich wundere mich nur manchmal, wie schnell er das alles zusammenhat. Aber Tempo ist ja nichts Illegales.«
    »Außer auf der Straße«, sagte Jagmetti.
    Eschenbach grinste und nahm den Fuß vom Gaspedal.

28
    »Den Rest fahren wir auf der Landstraße«, sagte Eschenbach und steuerte den Wagen durch eine lang gezogene Kurve von der Autobahn herunter. »Pfäffikon, Kanton Schwyz. Das war früher einmal ein Bauernkaff. Jetzt ist es ein Steuerkaff für Superreiche.« Er zeigte rechts auf die Hügel, die in sattem, ausladendem Grün einen herrlichen Ausblick auf den See versprachen. Das untere Drittel war treppenförmig mit Terrassenhäusern überbaut und schimmerte in hellen, dezenten Farben. Ab und an erhob sich ein Baukran. Darüber thronten mit großzügigem Abstand einige neu errichtete Villen. »Früher weideten die Kühe hier, jetzt das Kapital«, grummelte Eschenbach. »Manchmal frage ich mich, ob Steuerpolitik die einzige Politik ist, die in unserem Land funktioniert.«
    Hier und da sahen sie auch alte Häuser, unmoderne, in ärmlich-ländlichem Stil. Sie wirkten zwischen den weißen Fassaden zugezogener Millionäre wie Bettler; letzte Zeugen vergessener Armut.
    Sie fuhren über eine kleine Brücke, unter der eine Straße hindurchführte, und sahen die Kirche von Lachen. Wie viereckige Richtpfeiler, stämmig, fast ein wenig lieblos, ragten die Zwillingstürme aus den Häusern hervor, und ihre geschwungenen Zwiebeldächer wirkten wie aufgesetzte Sahnehauben. Eschenbach musste unweigerlich an jene Turbane denken, die sich Frauen mit Frotteetüchern in ihr nasses Haar drehen, wenn sie aus der Sauna kommen.
    Die Straße führte in engen Kurven durch den verwinkelten Dorfkern, und als sie dachten, sie wären zu weit gefahren, entdeckten sie den weiß-blauen Wegweiser, der zum Spital führte.
    Wie die ganze Gegend hier bestand auch das Spital aus einem alten und einem neuen Teil. Die gynäkologische Abteilung war im neuen. Eine Treppe führte hoch zum Eingang. Links an der Mauer stand ein Zitat von Albert Schweitzer:
    Das ist das tiefste und vornehmste Band, das Menschen miteinander verbinden kann: Miteinander etwas wollen zum Guten.
    Eschenbach blieb stehen. Las es ein zweites und noch ein drittes Mal, bis er es begriff. Er zweifelte an sich selbst, seinen Sinnen und seinem Verstand. Vielleicht lag es auch an der Hitze oder an den vier Stunden Schlaf, die ihm fehlten.
    Gegenüber der Mauer war eine Cafeteria. Menschen, vor allem ältere, saßen auf modernen Aluminiumstühlen unter grellblauen Sonnenschirmen, die für ein Mineralwasser warben. Die meisten Gäste schwiegen vor sich hin, starrten in die Kaffeeschale vor sich oder auf das Zitat von Albert Schweitzer.
    Eine knappe Viertelstunde mussten sie auf bunt gepolsterten Stühlen warten. Es war kaum Betrieb in der Geburtenabteilung. Eschenbach und Jagmetti sahen sich die Fotos der Babys auf den Geburtenkarten an, die wie ein farbiges Mosaik an der Wand hingen. Sie versuchten anhand der Fotos herauszufinden, ob es ein Junge oder ein Mädchen war; wobei jeweils einer den Namen abdecken und der andere raten musste. Jagmetti gewann sieben zu vier. Bei Andrea waren sie nicht sicher, ob es ein italienischer Junge oder ein Schweizer Mädchen war, und bei einem türkischen Namen einigten sie sich auf ein Mädchen, obwohl beide den Vornamen noch nie gehört hatten.
    Schwester Claudia war eine stämmige Mittfünfzigerin mit rotem Gesicht und lebendigen, fröhlichen Augen. Sie hätte sich erst noch etwas frisch machen wollen, sagte sie; denn so hohen und amtlichen Besuch bekäme sie selten. Eschenbach musste schmunzeln. In Lachen war man als Dorfpolizist noch eine Respektsperson. Zusammen mit dem Posthalter und dem Lehrer, dachte er. Er beneidete sie um ihr Privileg.
    Ja, sie

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