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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Untertasse ein weißer Keks und ein brauner Keks und zweimal Kaffeesahne. Er nimmt ihr das Tablett ab, sagt: »Danke, das ging schnell.«
    »Sehr gerne«, sagt sie, mit leichtem Akzent. Er gibt ihr einen Fünfmarkschein. »Vielen Dank«, sagt sie und macht einen halben Knicks. Er schließt die Tür, stellt das Tablett auf den Tisch. »Wenn du was brauchst, ein Mädchen oder zwei Mädchen oder sonstwas, sag mir Bescheid.«
    »Danke. Ich bin wegen Geschäften hier.«
    »Schau, schau, ein kluger Mann.«
    Er trinkt seinen Kaffee, schwarz. Geht die Dinge nochmal durch im Kopf, Verträge, Anwalt, Prozente, maximale Summe der Investition. Wenn nur die verdammten Fledermäuse nicht wären, die ihn vorhin noch so faszinierten. »Eine Bartfledermaus, dort oben, genau in der Mitte des Fensters, siehst du?«
    »Sie hängt.«
    »Ja, ja, da hat sie sich kurz mal abgehängt. Ungewöhnlich. Gibt die Kleine und die Große. Ziemlich selten. Siehst du die langen spitzen Ohren? Kann man von hier nicht sagen, ob’s die Große oder die Kleine ist. Ich tippe auf die Große. Schwer zu unterscheiden. Die Bartfledermäuse jagen meistens unten am Fluss.«
    »Ein Fledermausfachmann, ein richtiger Fledermausfachmann!«
    »Ich war früher in der Forstwirtschaft. Und die da, die da direkt über uns kreist, wupp, schon is sie wieder weg, das war …, na guck, da ist sie wieder, und noch eine! Und noch eine.«
    »Die sind verdammt groß! Fast wie ein Vogel!«
    »Ja, ja, das sind mit die Größten. Heißen auch so. Großes Mausohr. Beziehungsweise Große Mausohrfledermaus. Die sind hier am häufigsten.«
    »Das hier ist das exklusivste Fledermaushotel in ganz Deutschland«, sagt der Oberst.
    »Verstehe. Verstehe schon.«
    Er gießt sich Kaffee nach, läuft mit der Tasse im Zimmer auf und ab. Zwei Uhr dreißig. Er geht zu seinem Koffer und nimmt die Mappe aus der Innentasche. Nimmt den Stadtplan aus der Mappe und geht zum Tisch. Er stellt die Tasse aufs Tablett und schiebt es zur Seite, faltet den Plan auseinander und breitet ihn auf dem Tisch aus. Fünf Orte sind auf dem Plan markiert, fünf rote Kreuze. Drei davon mit Fragezeichen, weil sie doch etwas außerhalb liegen. Aber das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein. Die Stadt wird wachsen, davon kann man ausgehen. EU-Gelder fließen, die neue Hauptstadt ist nicht weit, der große und kleine Grenzverkehr, Unternehmen siedeln sich an, und andere zeigen bereits Interesse. Der Einwohnerschwund nach der Wende wird bald dreißig Prozent erreichen. Er legt die Tabellen mit Plus und Minus auf den Stadtplan, blättert durch seine Unterlagen und Notizen. Der Bund wird investieren, Vorzeigestadt der guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Polen. Das Außenministerium wird hier Gebäude bekommen. Das Tor zum Osten. Die Amis wollen investieren und die Japaner. Arbeitslosigkeit fast zwanzig Prozent. Ziel und bereits in Arbeit: die Zerschlagung des zurzeit bestehenden Sex-Marktes. Konzentration auf ein Objekt. Maximal zwei Objekte. Exklusivität in ganz Brandenburg. IC-Trasse nach Berlin ist in Planung. Möglicherweise auch über Schwerin nach Hamburg.
    Das Ganze kann eine Geldverbrennungsanlage werden oder eine Aktie mit Zukunft. Auf der anderen Seite der Grenze stehen die Mädels in jeder Stadt, in jedem Dorf. Clubs, Sexshops, Puffs, Straßenstriche, Wohnwagen, Privatwohnungen, polnische Zuhälter, russische Syndikate. Die Touristen kommen mit Bussen und bumsen für einen Hunderter das ganze Wochenende durch. Zigaretten und Schnaps für ein Drittel, wenn das reicht.
    Der Faktor ist der Bulle. Den er nachher treffen wird. Der Oberst hat die Hand auf den Immobilien, alte Kontakte, alte Seilschaften, neues Geld. Die Strategie muss klar sein: Diesseits der Grenze sind wir. Nur wir. Jenseits der Grenze beginnt der Sumpf. Die polnische Politik will die Gesetze verschärfen. Plus. Holt die besten Huren rüber nach Deutschland, dort wird das gute Geld verdient. Infiltration des Grenzmarktes. Drängt das polnische Grenzgeschäft zurück nach Polen. Ein Club, wie es ihn diesseits und jenseits der Grenze noch nicht gibt, noch nie gegeben hat.
    »Handel?«, es knackt kurz im Telefon, »du bist doch lange genug im Geschäft. Du weißt doch, dass die polnischen Mädels verrückt sind nach unserer harten Mark. Da, da, da! Und in Brandburg sind wir die Jobvermittlung Nummer eins! Wir mieten und vermieten! Der Sumpf ist hinter der Grenze.« Er sitzt in seiner Burg, in der Stadt im Osten, und weiß nicht, was er von dem

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