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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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dem die gebündelten Geldscheine liegen, dazwischen das andere Glas. Er macht beide Gläser voll. Das Arschloch nimmt sich eins und blickt sich im Raum um. »Schön hast du’s hier.«
    »Ja, schön ruhig.«
    »Ein richtiger Hobbykeller.«
    »Du meinst wegen meiner kleinen Eisenbahn? Als Kind hatte ich nie eine. War immer mein großer Wunsch. Aber mein Vater war ’n einfacher Mann, ’n einfacher Stahlarbeiter. Da gab’s keine Eisenbahn zu Weihnachten.«
    »Eisenbahn, Waffen, Diamanten … Du hast ein erfülltes Leben, Hans.«
    »Kann man so sagen. Bürgerliche Werte, und dann Jules Vernes Visionen.«
    »Was?«
    »Alte Waffen, das neunzehnte Jahrhundert. Das achtzehnte Jahrhundert. Und dann der Fortschritt in der Technik. Erst Duell, dann Massenmord. ›Die Erfindung des Verderbens‹. Hab ich als Kind gelesen. Hat mich immer fasziniert.«
    Er nimmt einen dunklen glänzenden Holzkasten aus dem Regal, öffnet den Deckel, neigt den Kasten so, dass das Arschloch die beiden Steinschlosspistolen mit den langgezogenen Läufen in den mit Samt ausgelegten Fächern sehen kann. »Habe ich letztes Jahr ersteigert. Die wundersame Perfektion veralteter Technik. Die Pulverpfannen schließen regendicht. Ein Wunderwerk der Feinmechanik vom alten Meister Prochaska aus Böhmen.«
    »Die Tschechen. Waffen und Kristall. Du solltest ein Museum führen, Hans.«
    »Ich sollte auf einer Insel wohnen, weit draußen im Meer, wo mich keiner stört.«
    Er stellt den Kasten zurück, hebt sein Glas, sie stehen voreinander, zwischen den Regalen, in denen die Waffen auf Samt liegen, in denen kleine Pappkisten stehen, mit Eisenbahnzubehör, ein paar Bücher, Holzkisten, in denen Hans einige seiner größeren Exponate aufbewahrt. Auch das Arschloch hebt sein Glas, und sie trinken.
    »Die Steine, ich möchte die Steine sehen«, sagt das Arschloch, trinkt noch einen Schluck, »gib mir doch einen von den Steinen.«
    »Das geht nicht. Die gehören mir nicht. Ich lagere die nur.«
    »Du erzählst mir, wie schlecht die Geschäfte laufen, erzählst mir von deinen Schwierigkeiten und willst doch nicht verschwinden mit dem Zeug?«
    »Setz die Kapuze ab!«
    »Was?«
    »Du sollst die bescheuerte Kapuze absetzen, damit ich dein Gesicht richtig sehen kann.«
    »Was soll der Scheiß?«
    »Bitte.«
    Der Mann stellt das Glas weg, greift langsam mit beiden Händen nach der Kapuze seiner weißen Sportjacke und zieht sie zurück. Hans blickt in sein zerfurchtes Gesicht.
    »Du siehst fertig aus. Deswegen erzählst du diesen Scheiß. Die würden dich einfach ausknipsen.«
    Der Mann setzt sich auf den Stuhl. Legt die Hände auf das Geld. »Ich will hunderttausend.«
    »Ich kann dir keine hunderttausend geben. Steuernachzahlungen, Geschäfte, Alimente und die Nebenkosten bringen mich um, was denkst du, mit wem du sprichst, verdammt nochmal. Das hier ist nicht das scheiß ›Pascha‹. Ich kann dir das geben, was hier liegt. Und ich habe keine Garantie, dass du nicht rumläufst und schwatzt. Du weißt nicht, worauf du dich einlässt, Junge.«
    »Zeig mir die Steine. Wenn du mir nicht die Steine zeigst, gehe ich wieder. Und wenn ich nicht wieder gehe …«
    »Ja, ja, dein zweiter Mann. Schon klar. Und was erwartest du dir davon? Erleuchtung? Der Quell der Jugend?«
    »Zeig mir die Steine. Ich will sie sehen.«

    Hans sitzt im Büro. Die Musik dröhnt, Stimmen, Lachen, viel Betrieb heute, die Mädels gehen mit den Gästen die Treppe nach oben in die Zimmer oder in die beiden verspiegelten Zimmer hinter der Bar, wo früher mal die Duschen gewesen sein müssen. Hans fand vor vielen Jahren Pläne im Tresor, die Grundrisse des Verwaltungsgebäudes des alten Galvanowerkes, zusammen mit der kleinen Schatulle und der Flasche »Springer Urvater«. Stimmen, Lachen, ab und an klopft jemand an der Tür, und er sagt: »Ja, bitte«, und sagt dann: »Später, später, nicht jetzt, muss nochmal weg.« Er weiß nicht, wie lange er hier schon sitzt. Die Flasche vor sich. In der Ecke das schwarzweiße Leuchten des kleinen Monitors, der den Eingangsbereich zeigt. Langsam, ganz langsam bewegt er seinen Arm, bis der Ärmel seines Jacketts verrutscht und er seine Glashütte sehen kann. Eins durch.
    Er weiß nicht, was er mit der Leiche machen soll. Der Mann liegt unten zwischen den Regalen. Die Schulter schmerzt ihm. Er weiß nicht mehr, wie er das Bren aus der Kiste geholt hat. Eine kleine Ausstellungsführung . Was soll er jetzt mit dem Mann machen? Sein Kontakt bei den Bullen wird nicht

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