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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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ist das bei unserem Job nicht? ’ne ganze Menge, denke ich mir manchmal, wenn ich mit allem so im Ganzen und Großen zufrieden bin. Da stell ich mir manchmal vor, wir beide, also ich und die Birgit, würden herzlich lachen, wenn ich ihr mein Familienlabyrinth zeigen würde, bei ’nem Kaffee zum Beispiel, und wenn ich da so durcheinanderkomme mit den Kindern und den Enkeln und dem Henry seinen Kindern. Weil’s ja auch wirklich irgendwie lustig ist. Und weil das auch alles schlimmer und verstritten sein könnte, nein, da bin ich eigentlich froh, dass das alles halbwegs funktioniert. »Und du meinst wirklich, der ist schwul, ist ja süß, dass du dich da so kümmerst.« Sagt sie. Wenn ich mir das vorstelle. Obwohl wir in Wirklichkeit nie reden. Und mit den anderen Freundinnen, die ich so habe, spare ich das andere aus. Spare ich viel aus. Ist blöd manchmal. Weil die das doch nicht ganz verstehen.
    Aber wenn ich was kann, dann mich so reinfühlen, sozusagen, in die Leute. Denn ich hab ja immer mit Menschen gearbeitet, früher als Frisöse. Da macht die Birgit auch immer ihre Späße, wenn ich mir das so vorstelle, wie wir beide beim Kaffee und ’nem Riesling danach zusammensitzen, und dann muss ich lachen, manchmal mitten bei der Arbeit, ich obenauf, das mögen sie, wenn die reife Lady reitet. »Fünfzig Prozent der Huren waren Frisösen.«
    Nee, ist natürlich Quatsch, »Fünfzig Prozent der Frisösen werden Huren«, sagt sie dann, aber das ist, wie gesagt, nur ein dummer Witz. Eigentlich habe ich ja gelernt in so ’nem Galvanisierungsbetrieb beziehungsweise bei der Galvanotechnik, da haben wir verzinnt und Metalle veredelt, aber weil ich so leichte Asthmaprobleme hatte, was ich vorher noch gar nicht wusste, bin ich da dann wieder weg. Das war alles noch in der DDR. Da weiß die Birgit nichts von beziehungsweise denke ich mir das so, die kommt nämlich aus dem Westen. Und ich weiß auch gar nicht, ob die so interessiert wäre an meinem Kram. Da ist sie fast schon ’n Exot, dass sie ausm Westen kommt, also bei uns. Kenn ich keine Kollegin weiter, die aus dem Westen kommt. Na ja, allzu viele Kolleginnen kenn ich eh nicht, aber schon ein paar.
    Nach der Wende, also fast bis Ende der Neunziger, so von vierundneunzig an, da war ich auch bei der Altenpflege. Friseurinnen gab’s plötzlich wie sonst nichts, und ich wollte auch was Neues machen. Ja, so kann man’s sagen. Das hat mir schon Spaß gemacht, das war schon eine gute Arbeit. Und da habe ich viel gelernt, auch für später, also für jetzt.
    Zu windeln und so etwas, die wunden Stellen, das Wenden der Körper, das Zuhören. Gerüche, Haut, die sich schält. Tropfen. Reden. Trockenes Fleisch. Wundes Fleisch. Nachsichtig sein. Auch mal streng sein. Hornige Nägel. Sterben und Zuhören. Manchmal rede ich mit dem Henry darüber. Wir kannten uns damals noch nicht. Er hört gern zu, wenn ich erzähle. Manchmal. Weil er doch so viel Eigenes hat, was er erzählen muss, wenn wir uns am Abend, nach dem langen, langen Tag, sehen. Und weil ich ihn dann frage: »Wie war dein Tag, Alterchen?« So nenne ich ihn meistens, eine Zeitlang habe ich ihn »Boy« genannt, das war vor allem in der Zeit, als ich Englisch gelernt habe, also mein Englisch aufgefrischt habe mit so ’nem Kurs an der Abendschule. Direkt von der Arbeit bin ich dahin. Das ist nun schon doch ’ne Weile her, war nämlich vor dem Gesetz. Weil ich da natürlich mehr Geld hatte. Abendschule, Sprachkurs, Sprachreise. Weil da mehr schwarz ging, aber da sollte ich einfach mal die Klappe halten. Und jetzt, das hat nicht nur mit dem Gesetz zu tun, dass es nicht mehr so läuft. Also schon noch gut genug läuft, weil sonst würde ich mir sicher überlegen, was ich nun machen soll, wenn das gar nicht mehr läuft, aber zum Glück läuft es noch. Auch mit dem Henry. Denn es ist nicht so, dass wir wenig Sex haben. Nein, im Gegenteil. Der Henry war immer ein Puffgänger, ist immer schon ein Puffgänger gewesen. Weil sonst hätten wir uns gar nicht kennengelernt. Und das haben wir nicht im Puff, natürlich nicht. Da lege ich jetzt so großen Wert drauf, denn das hat’s auch schon gegeben. Aber soweit ich das beurteilen kann, ist das eher die Ausnahme. War aber ’ne Ü40-Party damals, wo ich ihn kennengelernt habe. Und was ich für einen Bammel hatte, ihm reinen Wein einzuschenken, wie man so sagt. Und dann ist er so ein alter Bock, jetzt hätte ich fast Hurenbock gesagt, der früher immer hin zu den Frauen, in die Puffs

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