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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Bahnsteig abwickeln, auf und ab laufen dabei, verstummen, wenn Menschen aus Zügen stiegen, oder an einen anderen Ort dieses endlosen Bahnsteigs gehen, wenn Menschen zu penetrant auf Züge warten würden … Aber weder er noch dieser Fischer würden etwas überstürzen. Zu viel stand auf dem Spiel. Aber eigentlich war alles ganz einfach.
    »Und was haben die da gemacht, ich meine: hergestellt?« Herr Fischer nestelte eine zerknüllte Tüte Krügerol-Halsbonbons aus der Brusttasche seiner Militärjacke. Er nahm eins raus, schob es sich in den Mund hielt Hans die Tüte hin. »Aber gerne doch, gute alte Ostware.« Er nahm ein Bonbon, lutschte eine Weile, bevor er sagte: »Malz.«
    »Malz? Eine Malzfabrik. Florierendes Geschäft, was?«
    »Malz wurde früher überall gebraucht. Von hier fuhren die Güterwaggons ins ganze Land. Planwirtschaft, Herr Anwalt.«
    »Herr Anwalt?«
    »Der linke Anwalt, der mal die Welt verbessern …«
    »Für die Utopien sind Sie doch zuständig.«
    »Utopien. Habe ich als Kind gerne gelesen.«
    »Wichtig ist, dass wir die neue Geschichte schreiben.« Der Anwalt spuckte sein halbgelutschtes Bonbon auf den Fußweg, drehte sich zu Hans und lächelte. » Der Weg nach Japan .«
    »Der Weg nach Japan«, Hans nickte. »Wir sollten irgendwo in Ruhe einen Kaffee trinken, bevor wir über Fahrpläne und Tarife diskutieren.«
    Und während sie die Brücke verließen, Richtung Innenstadt gingen, vorbei an der Villa, zu der Hans den Schlüssel besaß, vorbei an einem kleinen Laden für Modelleisenbahnzubehör, begann der Anwalt, Hans zu nerven, ernsthaft zu nerven, so dass er sich mehrfach zu ihm drehte, »Ja, ja, der berühmte Hans …«, ihn musterte und zu verstehen versuchte, was, verdammt nochmal, vor sich ging, hier in der Stadt des längsten Bahnsteigs des Landes, der sie immer weiter Richtung Zentrum führte, zum Herzen, zum Ursprung, zum Ziel, und Hans rauchte zwei Zigaretten, um sich zu beruhigen, auf dem Weg zum Marktplatz, wo es eine Bäckerei mit Café gab. Vielleicht ’ne Art Test, dachte er. Wolkenfetzen trieben grau über ihnen.
    »Und Sie sind also ein ganzer, harter Kerl?«
    »Was soll ’n der Scheiß?«
    »Früher in Berlin aktiv gewesen, Brigade Fußball, Brigade Knochenbrecher …«
    »Und Sie, immer schön die Hand aufgehalten?«
    »Geschäfte, lieber Hans, Geschäfte …«
    »Ich wusste nicht, dass wir uns duzen.«
    »Ich dachte, das sei in Ihren Kreisen so üblich. Und früher sowieso. Das Du der Nacht und das Du der Genossen …«
    »Verdammte Spielchen!« Hans blieb stehen, zeigte mit seiner Zigarette auf das Gesicht des Anwalts, brachte die Glut so dicht an dessen Mund, an dessen Nase, dass ein dünner Rauchfaden sich zwischen die grauen Haare des Anwalts zog. Schweigend blickten sie sich an, Hans öffnete mehrmals den Mund, holte Luft, setzte an, schüttelte den Kopf und glaubte dann zu sehen, wie ein kurzes Lächeln die Mundwinkel des Anwalts bewegte, er sah das Lächeln auch in den Augen des Anwalts Fischer, wenn das wirklich sein richtiger Name war, aber auch das spielte keine Rolle.
    »Nehmen Sie’s mir nicht übel, Herr Pieczek …«
    »Sie erzählen die Scheiße, nicht ich. Was soll’n das plötzlich? Sie können den ganzen lieben langen Tag lang Scheiße erzählen, wenn Sie das so gewohnt sind, aus Ihren Kreisen. Ich kann warten, bis Sie zur Sache kommen.« Er schnippte die Zigarette, die er immer noch in der ausgestreckten Hand gehalten hatte, am Kopf des Anwalts vorbei. Und der Anwalt lächelte wirklich. Er öffnete den Mund und lachte kurz. »Vulgär, vulgär. Sind Sie unser Mann?«
    »Nein. Ich habe nur die Passage nach Japan. Sicher und diskret und mit sauberen Kohlen. Vulgär, vulgär.«
    Da standen sie schon wieder auf einer Brücke, einer weitaus kleineren diesmal, und schauten auf das schäumende Wasser eines Flüsschens. »Zu einem heißen Kaffee komme ich wohl heute gar nicht mehr«, sagte der Anwalt.
    »Kaffee«, sagte Hans, blickte aufs Wasser und fragte sich, wie AK wohl mit der Situation umgegangen wäre. In den Fluss geschmissen und geschaut, wie er zappelt. »Ach, hör doch auf …«
    »Was?«
    »Nichts. Ich glaube, ich brauche auch dringend einen Kaffee.«
    Und Hans schaute auf das schäumende Wasser des kleinen Flüsschens P., das sich zurück durch die Hügel und Berge schlängelte, Dörfer und kleine Städte querte, in eine Talsperre floss, in der das Wasser schwarz lag, auf der anderen Seite die Talsperre wieder verließ, an den großen

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