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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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im Krieg gewesen waren, schleppten die Preise weg, kleine Karusselle, von denen die Farbe abblätterte, hölzerne Pferde, Feuerwehrautos, Doppeldecker, Giraffen …, sein Vater war oft mit ihm auf den Rummel gegangen …
    »Mein Zug geht bald«, sagte der Anwalt.
    »Meiner auch«, sagte Hans und blickte auf seine Glashütte.
    »Zeit für einen letzten Schluck?«
    »Zeit für einen letzten Schluck«, sagte Hans. Der Anwalt nahm die Flasche und goss ein. »Ist eigentlich ganz schön hier«, sagte er.
    »Ja«, sagte Hans, »hier oder beim Schloss. Ich bin mir noch nicht sicher.« Erzähl nicht so viel, du Idiot.
    »Meine Auftraggeber …«
    »Nein«, sagte Hans, »davon will ich nichts wissen.«
    Der Anwalt lachte. »Nur das, was in den Zeitungen steht. Wenn ich vorhin etwas …, wie soll ich sagen …, forsch war …«
    »Schon gut. Teil des Spiels. Teil der Arbeit.«
    Sie tranken. Dann standen sie auf.

    Die Gleise verzweigen sich, führen über Brücken, durch Tunnel, durch kleine, große Bahnhöfe, Vorstädte, Hauptstraßen, nächtliche Lumpensammler, Passagiere, die müde nach Hause fahren, der Betonsarkophag Südkreuz, das Rumpeln der U-Bahn unter den Gleisen, zwei Männer auf dem räudigen Boulevard Westberlins, ein Spätverkauf, der schließt, Stehbierkneipe Bahnhof Zoo, zwei Männer, die vorm großen Kaufhaus des Westens im Auto sitzen, Wachdienste, die ihre Wege verlegen, Diamantschneider auf Glas, dunkle Kleidung der Nacht, Kabelknipser, alarmfreie Zonen, zwei libanesische Brüder, sanfte Bewegungen an der Front des Kaufhauses des Westens, Sternbilder weit über den Wolken, Fassaden im gelben Licht der Nacht, Seile an der Fassade, Glas wird beiseitegestellt, Lederhandschuhe, Haarnetze unter Mützen, Tarnmasken, das Licht der Steine im Licht kleiner Taschenlampen, die kühle Schärfe der Karate, die Uhren ticken rückwärts, Zeitfenster, die Ware gleitet in die Säckchen, Glasvitrinen, durchtrennte Elektrizität, die in der Erde versickert, die vorsichtige Platzierung der Spuren neben den Vitrinen, billige Quarzuhren, die auf die Sekunde gestellt sind nach der Atomuhr, das Licht einer Taschenlampe bricht sich in einer stillen Explosion in einem Häufchen unglaublicher Schönheit, in Tokio sitzt ein Mann mit einer Lupe im Auge, im Städtchen G. in Thüringen halten zwei Züge am längsten Bahnsteig des Landes.

Import/Export 90
    Zuhälter? Ja. Ja.

    Ich meine, ich gehöre zu ’ner aussterbenden Gattung. Zu ’ner bedrohten Art. Im Prinzip bin ich nicht mehr aktiv, seit paar Jahren schon. Müsste also in der Vergangenheitsform sprechen. Aber wenn ich mich so an die Jahre dran zurückerinnere, dann ist das gleich wieder voll da. Klar, mit dem Ruhestand, das hätte ich mir alles anders vorgestellt. Und die Claudi hat, ich glaub, das muss so um zweitausendfünf gewesen sein, immer wieder gesagt: »Randy, lass die Finger von die Aktien.«
    Ja, aber Randy wie immer seinen eigenen Kopp gehabt, wenn’s ums Geschäft ging. Zwotausendacht warn die Papiere abgelutscht. Alles weg. Ich meine, wenn ich’s wenigstens verprasst hätte. Jetzt sitz ich hier in Bottrop in mein Häuschen und hab Probleme mit den Raten. Bloß gut, dass die Claudi bisschen was abgezweigt hat. Da hätt sie aber was erleben können, wenn das mit den Aktien alles geklappt hätte. Aber sicher. Aber zwo-acht und auch die Jahre davor, war ich schon nicht mehr der alte Bulldozer, Randy räumt auf!, ja, da war Respekt angesagt damals. Ich meine, früher, aufräumen, einen wegwemmsen, das war auch eher die Ausnahme. Da hat die Claudi aber aufs Wort … Das ist aber natürlich das, was Coppenrath & Wiese …, übrigens ist das ja meine Kreation, also dieser Begriff …, das kursiert jetzt, und ’n Haufen Leute, vor allem so Ostpocken, behaupten, dass sie da das Monopol drauf haben, aber nee!, das haben die mir geklaut, als ich einundneunzig drüben war. Also wer hat’s erfunden? Der alte Randy, richtig.
    Jedenfalls, was ich sagen will, die Claudi damals noch ’n bisschen was auf Tasche gerettet und dafür in ’ne Bahnhofsboutique von der Freundin mit eingestiegen, das läuft so halbwegs, na ja, und davon leben wir jetzt. Da, wo wir früher mit ’nem Arsch voll Weiber rumgezogen sind, also Dortmund, Essen, der Pott halt, da sind jetzt die Kanacken oder die Russen am Drücker oder die Engel, oder da stehn Riesenpuffs von jungen Investmenttypen, Aktie Rot läuft irgendwie immer. Aber so Klassiker wie uns, wie die alte Garde, Fehlanzeige.
    Man

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