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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Holzfußboden war nicht mehr in bestem Zustand.
    »Du möchtest wirklich in dieses Haus investieren? Der Traum vom Alterssitz?«
    »Ach, was heißt Alterssitz. So weit isses nun doch noch nicht. Aber irgendwann möchte ich schonmal aus der Stadt weg, ich meine zum Wohnen. Und so weit isses mit dem Auto ja nicht.«
    »Mit dem Auto in die Stadt mit dem längsten Bahnsteig Deutschlands …« Sie lachten. Hans nahm die Flasche Johnnie Walker Black Label und machte die beiden Gläser wieder voll. »Du hast doch vorhin den Pavillon gesehen, also die kleine alte Bahnhofshalle?«
    »Ja. Ein wunderbares Gebäude. Der Zauber der alten Eisenbahn …« Sie hatten in der kleinen Halle gestanden und dem Echo ihrer Stimmen und Schritte gelauscht. Vom Tunnel, durch den sie gekommen waren, wehte ein leichter Wind den Geruch aller Bahnhofstunnel durch den Stein zu ihnen, Hans dachte an die Auswärtsfahrten Mitte/Ende der Achtziger, der dröhnende Chorus der Horde, einige von damals sind zu den Engeln gegangen, andere waren bürgerlich geworden, aber was hieß das schon …
    »Achtzehnhundertsechzig rum. Die reißen’s bald weg. Woll’n Parkpklatz bauen.«
    »Ist hier so ein Kommen und Gehen, dass sie einen Parkplatz brauchen?«
    »Nein. Sind Idioten. Früher warn’s die Bonzen, dann die Treuhand …«
    »So besorgt um die Kulturgüter der Heimat, Hans?«
    »Eigentlich brauche ich was richtig aufm Land. Ich hab noch ’ne andere Option, auch ganz in der Nähe der Stadt, aber andere Richtung. ’n richtiges Schloss.«
    »Du willst ’n Schloss kaufen, Hans? Nicht dein Ernst? Da braucht’s doch aber sicher mehr als unseren kleinen Deal.«
    »Nee, nicht das ganze Schloss. Da gibt’s ein Nebengebäude, direkt am Wasser, also auf dem Wasser, wie ’ne kleine Insel. Ist ’n Wasserschloss. Mitten im Wald. Wie im Märchen.«
    »Sehnst du dich so sehr nach der Einsamkeit?«
    Hans nimmt eine Zigarette aus seinem Etui, reicht es dann dem Anwalt. »Danke, warum nicht.« Hans gibt ihm Feuer, zündet sich dann seine Zigarette an.
    »Wie wollt ihr mir die Ware liefern?«
    »Per DHL. Einschreiben mit Rückschein.«
    »Nicht dein Ernst?«
    »Wir melden uns vorher.«
    »Ich hab’s einfach satt«, sagte Hans, »der ganze Lärm. Den ganzen Tag dreht sich’s. Die große Mühle. Wird mir zu laut, verstehst du. Irgendwas Gediegenes auf dem Land. Immer mein Traum gewesen.«
    »Und deswegen hast du uns kontaktiert? Um die Stadt verlassen zu können? Startkapital?«
    »Ist’s so gelaufen? Bin ich zu euch gekommen? Mein Mann aus Tokio weiß ziemlich viel. Natürlich könnt ich mir den Scheiß hier auch so leisten. Aber wie du schon sagtest: Bei einem lukrativen Nebengeschäft kann man schwer Nein sagen.«
    »Ich sag immer, Hans, ein guter Steuerberater ist das A und O. Geht nichts drüber. Kann man besser schlafen.« Er nahm einen Schluck von seinem Whisky, drückte die halbgerauchte Zigarette in den Aschenbecher. »Kann man trinken, den Johnnie Black.«
    »Den trink ich am liebsten. Seit über zwanzig Jahren.«
    »Ich bin auf die Malts umgestiegen, Hans.«
    »Hm. Hab ich Glenfiddich in meiner Bar.«
    »Schaff dir noch ein, zwei mehr an, ist der neue Trend jetzt. Talisker. Lagavulin.«
    »Vielleicht in Berlin. Schon der Glenfiddich wird kaum getrunken. Im Büro hatte ich ’ne Zeitlang einen guten Japaner. Hatte nicht gewusst, dass die auch Spitzen-Whiskys machen. Hat mein Freund aus Tokio mal mitgebracht.«
    »Dein geheimnisvoller Freund aus Tokio …«
    »Da ist nichts geheimnisvoll. Deswegen denkt ihr ja genauso wie ich, dass er der richtige Mann für die kleine Transaktion ist. Er verkauft an die Neureichen in China. Die geschäftstüchtigen Kommunisten müssen den Wohlstand nachholen.«
    »Ja, Hans, die Welt, wie wir sie noch kannten, hier ein Block, da ein Block, gibt’s nicht mehr.«
    »Bin ich froh drüber. In der Zone würden wir nicht hier sitzen und Johnnie Black trinken.«
    »So meinte ich das nicht …«
    »Wie auch immer. Ist spät geworden.«
    »Ist spät geworden.«
    Sie blickten schweigend aus den großen Fenstern. Hans zündete sich noch eine an. Draußen wurde es langsam dunkler, die grauen Wolken hingen tief, es nieselte, winzige Tropfen an den Scheiben, die Lichter der Karussells begannen zu leuchten. Er erinnerte sich an die Rummelplätze der Stahlstadt, in der er groß geworden war. An die Rummelplätze in den Dörfern um die Stahlstadt, an die Zelte, in denen getanzt wurde, Blasmusik, an die Schießbuden, die Alten, die

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