Im Stein
legt jeden rein, Arnold. Gier, alle wollen sie schnell nach oben kommen.« Steffen setzt die Flasche wieder an.
»War das nicht immer schon so?«
»Nein. Nicht so . Manchmal denke ich, das hat mit dem Internet zu tun. Mit der Schnelligkeit, dem Verschwinden der … Kennst du die chinesische Meile, Arnold?«
»Erinnerst du dich an diesen seltsamen Mann, den sie Mondauge nannten?«
»Aus Berlin?«
»Ja.«
»Nein.«
»Schnell nach oben kommen«, AK blickt sich in dem Raum um, Sackkarren, ein Sarg, ein kleiner Tisch, auf dem Papiere und Zeitschriften liegen, »Das wolltest du doch auch. Wolltest weit und hoch mit den Engeln. Damals schon. Und hast alles vergessen, von wegen Versicherungen, lässt dich abservieren und rennst zu den Bullen, anstatt zu kämpfen.«
»So wie du?« Steffen lacht. Reicht ihm die Flasche rüber. »Du hattest doch deine Versicherungen. AKs große Schwanzversicherung. Jeder wusste das.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Nichts. Gar nichts. Aber waren Fotos nicht damals noch Fotos?« Er holt seinen Tabak aus der Brusttasche seiner Arbeitsmontur. Dreht sich sehr langsam und mit zitternden Fingern eine Zigarette. »Willst du nicht doch eine? Aufs Wiedersehen.«
»Du hast Nerven, Steffen. Das muss ich dir lassen, schwingst hier große Reden über meinen Schwanz und …, als würden wir wie früher bei Ivonne in der Kneipe sitzen …«
»Bei Ivonne in der Kneipe. Karate-Steffen mit den eisernen Nerven.« Wieder lacht er. »Das war einmal. Hab ich dir nicht damals schon von der chinesischen Meile erzählt?«
»Man sagt, du hättest schon vor Jahren den Ausstieg gewählt. Hättest dich angedient. Hättest über Jahre doppelt gedient.«
»Man sagt, man sagt … Du weiß doch selbst, wie das mit den man sagt ist. Ein Dreck ist das.«
»Nicht alle Informationen sind Dreck.«
»Informationen? Klatsch und Tratsch, Arnold, das war schon immer ein Faktor in unserer Branche.«
»Schon möglich. Aber die Branche, die du damals gewählt hast, als du die Stadt verlassen hast, ist nie meine gewesen …, motorisierte Syndikate.«
»Du hast doch selbst eins hinter dir. Neuerdings. Wie man hört.«
»Klatsch und Tratsch, Steffen.«
»Touché, touché. Ich kann deine Schritte verstehen. Maßnahmen. Versicherungen. Wie ich schon sagte, die Engel sind gierig.«
»Dann brauchen wir darüber nicht weiter zu reden.«
»Nein, das brauchen wir nicht. Deshalb bin ich hier. Bei den Toten.«
»Ich lebe. Du hättest zu mir kommen sollen, damals, zurück in die Stadt hättest du kommen sollen. So oder so. Wir hätten einen Weg gefunden.«
»Lüg dich nicht selbst an. Lüg mich nicht an. Wie hätte ich für dich arbeiten sollen? Die Engel waren im Anmarsch. Und für den Moment war das für dich das Allerbeste. Kanacken-Attacken, Los Locos. Die große böse Übernahme. Wir müssen uns doch nichts vormachen. Und die Geister, die du riefst …«
»Lass Shakespeare aus dem Spiel. Und ich war nicht der Einzige, der sie gerufen hat.«
»Goethe. Und was spielt das noch für eine Rolle jetzt, wo sie da sind und sich ausbreiten, immer weiter ausbreiten …«
»Ich bin noch längst nicht am Ende, das solltest du wissen.« AK greift nach der Flasche. Spürt, dass er viel zu viel redet, dass er sich öffnet, so wie er sich nicht öffnen will. Er möchte die Lippen aufeinanderpressen, hört das Rauschen hinter der Wand, an der sie lehnen. Er hat seinen Mantel aufgeknöpft, es ist warm hier unten. Hat sein Hemd aufgeknöpft.
»Wer sagt denn, dass du am Ende bist? Du selbst fängst ja damit an. Aber vor zwei Jahren, oder wann war das genau?, da dachtest du, jetzt überrollen sie dich, nicht wahr? Die Kanacken, die Los Locos. Und schon schickt ihr nach Hilfe, ins ferne Königreich …«
»Wir haben nur Angebote gemacht. Haben die Dinge nur forciert, die Truppen der Verbündeten standen eh schon bereit. Hannover, Berlin.«
»Immer frei nach Wallenstein, nicht wahr, General? Und alles wurde gut mit den neuen Wächtern der Nacht.«
»Clausewitz. Die Geschäfte gingen weiter. Wie immer. Ein paar neue Verträge, Absprachen …, wie immer.«
»Wie immer.«
Und dann schweigen sie und sitzen, lehnen sich schwer an die Wand. Reichen sich die Flasche zu. Die so feucht geworden ist, dass sich das Etikett zu lösen beginnt.
»Ich habe keinen anderen Ausweg gesehen. Damals.« Steffen zieht die Knie an, legt die Arme auf die Knie und dreht sich langsam zu AK. »Das erste Mal in meinem Leben hatte ich Angst.«
»Angst ist
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